Marjorie Taylor
Die unsichtbaren Freunde der Kinder
Kinder erfinden Fantasiegefährten,
die unterschiedlichste Gestalten annehmen können. Sie können
Kinder, Tiere, Geister oder auch skurrile Figuren wie der Typ aus
dem Metzgerladen oder ein 106 Jahre alter Handlungsreisender sein.
Kinder genießen diese aktiven Als-ob-Spiele. Dabei erleiden
sie keinen Realitätsverlust, sondern bereichern ihren Alltag.
Ich lebe in den
Vereinigten Staaten. Dort sehen die Kinder häufig fern und
gehen auch oft ins Kino. Es werden ihnen viele Bücher mit Fantasiegeschichten
vorgelesen und sie bekommen eine Menge Fantasiespielzeug geschenkt.
Kontakt mit dem "Fantastischen" gibt es von Anfang an. Schon Säuglinge
bekommen Fantasiespielsachen wie Plüschtiere und Puppen geschenkt.
Babys werden in Kostüme gesteckt noch bevor sie überhaupt
begreifen können, was mit ihnen vor sich geht. Mit fünf
oder sechs Jahren schließlich haben viele amerikanische Kinder
Videos über sprechende Hunde, Meerjungfrauen, Feen und dergleichen
so oft gesehen, dass sie sie auswendig kennen. Welche Wirkung hat
all dieser Fantasiekonsum auf die natürliche Entwicklung der
kindlichen Vorstellungskraft? Haben die Fantasiesendungen und dergleichen,
wie sie von Erwachsenen für Kinder produziert werden, Einfluss
auf die Fähigkeit der Kinder, sich ihrerseits etwas auszudenken?
Sind die ureigenen Fantasien von kleinen Kindern heutzutage von
Figuren bevölkert, denen sie zum ersten Mal im Fernsehen begegnet
sind – das Produkt der Fantasien anderer?
Meine Forschungsarbeit hat sich mit dieser
speziellen Frage zwar nicht detailliert beschäftigt, da wir
die Sehgewohnheiten der Kinder nicht eingehend und systematisch
untersucht haben.
Aber ich kann Ihnen auf Grund unserer Forschung
sagen, dass sich die kreative Vorstellungskraft unserer Kinder in
bester Verfassung befindet. Ich stütze diese Aussage auf meine
10-jährige Erfahrung, die ich während der Untersuchung
von Fantasiegefährten (imaginary companions, ICs) gesammelt
habe. Hier handelt es sich um eine ausführliche und nachhaltige
Form des "Als-ob-Spiels", das in der frühen Kindheit sehr verbreitet
ist. Ein Fantasiegefährte ist eine erfundene Figur, mit der
sich das Kind regelmäßig beschäftigt. Manchmal sind
diese Figuren unsichtbar, manchmal entstehen sie in Anlehnung an
ein besonderes Stofftier oder eine Puppe.
Wir wollten mehr über die Eigenschaften
dieser Fantasiefreunde erfahren. Was geht in einem kleinen Mädchen
vor, wenn es seinen unsichtbaren Spielgefährten ansieht? Außerdem
wollten wir mehr darüber wissen, was es über Kinder aussagt,
die sich Fantasiegefährten ausdenken, wie sich diese Art des
Fantasiespiels entwickelt, was Fantasiegefährten für die
Kinder "tun". Was sagen sie uns über das sich entwickelnde
menschliche Gehirn und was haben sie mit Kreativität im Erwachsenenleben
zu tun. Eigentlich sind Fantasiegefährten nur ein Teilaspekt
aus einer langen Reihe artverwandter Als-ob-Spiele, auf die ich
später noch kurz eingehen werde.
Worum handelt es sich bei Fantasiegefährten?
Stephanie Carlson und ich haben vor kurzem eine Aufstellung der
über die Jahre gesammelten Fantasiegefährten vorgenommen.
Es sind insgesamt 341 Beschreibungen (davon 179 von Kindern im Alter
von 3 bis 12 Jahren; 42 stammen von Eltern; 120 von Erwachsenen
- insgesamt 252 Teilnehmer). Diese drei Informationsquellen, von
denen jede ihre Stärken und Schwächen hat, lassen zusammengenommen
ein ausführliches Bild von Fantasiegefährten entstehen.
|
Abbildung 1: Die Erniepuppe,
nachdem sie 11 jahre lang der
Fantasiegefährte eines Mädchens war. |
Nahe liegend war zunächst die Unterscheidung
zwischen völlig unsichtbaren Fantasiegefährten und solchen,
die auf Spielsachen wie Puppen oder Plüschtieren beruhen. Manche
Wissenschaftler schließen Spielsachen als Fantasiegefährten
aus. Wir jedoch glauben, dass Kinder in ihrer blühenden Fantasie
manchmal eine so starke Beziehung mit ihren Teddybären oder
Puppen eingehen, dass es als gerechtfertigt erscheint, sie als eine
Art von Fantasiegefährten zu betrachten. Ich spreche nicht
von Spielsachen, die vorübergehend aktuell sind oder gerade
zum Trost umhergetragen werden. Oft sprechen Kinder mit einem bestimmten
Spielzeug und hören, was es ihnen zu sagen hat. Daraus kann
eine Jahre andauernde, feste Beziehung entstehen.
Zum Beispiel wurde Ernie einem kleinen Mädchen
im Alter von 8 Monaten geschenkt. Über die Jahre hatte es Dutzende
anderer Plüschtiere und Puppen, aber Ernie war jahrelang ihr
Vertrauter und besonderer Freund (s. Abb. 1).
Tracy Gleason hat einige Unterschiede herausgefunden:
Eltern wissen eher von Fantasiegefährten, wenn es sich dabei
um Spielsachen handelt. Die Wahrscheinlichkeit ist so auch größer,
dass andere daran teilhaben. Unsere Forschungen haben ergeben, dass
die psychologischen Eigenschaften, die Kinder mit Fantasiegefährten
von anderen Kindern unterscheiden, bei Kindern mit Spielzeug-Fantasiegefährten
in gleichem Maß vorhanden sind wie bei Kindern, deren Kamerad
unsichtbar ist. Allerdings hat so ein Spielzeuggefährte seine
Nachteile – er kann verloren gehen oder sich mit der Zeit abnutzen.
Insgesamt haben wir 105 Beschreibungen von
ganz besonderen Spielsachen zusammengetragen, die anscheinend die
Funktion eines Fantasiegefährten hatten (31% der Beschreibungen).
Der Rest der Beschreibungen – 236 – bezog sich auf unsichtbare Gefährten.
Ich werde nun auf einige davon eingehen, um Ihnen eine Vorstellung
davon zu geben, wie facettenreich diese Art des Spiels sein kann
(s. Tab. 1).
Tabelle 1:
Typen unsichtbarer Fantasiegefährten
(N = 236)
Typen unsichtbarer
Fantasiegefährten
|
Kinder-Aussagen
|
Eltern-Aussagen
|
Rückblende
|
Gesamt
|
Anteil
|
Normales Kind
|
35
|
10
|
18
|
63
|
27%
|
Kind mit Zauberkräften
|
21
|
6
|
13
|
40
|
17%
|
Baby
|
5
|
2
|
4
|
11
|
5%
|
Ältere Person
|
23
|
4
|
2
|
29
|
12%
|
Tier
|
23
|
9
|
12
|
44
|
19%
|
Superheld
|
2
|
0
|
5
|
7
|
3%
|
Feind
|
4
|
1
|
2
|
7
|
3%
|
Gespenst, Engel, Geist
|
4
|
0
|
9
|
13
|
5%
|
Unsichtbares Ich
|
2
|
0
|
2
|
4
|
2%
|
Andere
|
6
|
0
|
12
|
18
|
9%
|
Viele Leute nehmen an, dass ein Fantasiegefährte normalerweise
ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen ist, etwa im selben
Alter wie das Kind – eben ein guter Spielkamerad. Davon gibt es
viele – etwa 27% der unsichtbaren Fantasiegefährten sind ganz
normale, aber unsichtbare Mädchen und Jungen, mit denen es
sich gut spielen lässt. Die erfundene Rachel – einer von vier
Fantasiegefährten, die sich drei Jahre lang hielten – basierte
ursprünglich auf einer Freundin namens Rachel. Das Kind hatte
eine erfundene Version von allen seinen Freunden – praktisch, wenn
diese gerade nicht verfügbar waren. Dies ist nicht ungewöhnlich,
denn eine Reihe von Fantasiegefährten basieren auf wirklichen
Personen – 16% hatten echte Personen als Vorbild (s. Abb. 2).
|
Abbildung 2: Kinderzeichnungen
von Fantasiegefährten
|
|
Abbildung 3: Margarine - Ein
unsichtbares
Mädchen, das Bruder und Schwester
gemeinsam als Freundin haben.
(Die Zeichnung des Bruders ist links,
die der Schwester rechts.)
|
|
Abbildung 4: Kinderzeichnungen
von
Tieren als Fantasiegefährten
|
|
Abbildung 5:
Der Typ aus dem Metzgerladen |
Viele Fantasiegefährten sind Spielkameraden,
die keine normalen Kinder sind. Oft haben sie magische Eigenschaften
– sie können fliegen, sich verwandeln, haben besondere Kräfte
oder ungewöhnliche physische Eigenschaften (17%). Beispiele
hierfür sind Baintor, ein winziger, vollkommen weißer
Mensch, der im Lampenlicht lebt, oder Jerry, der in einem geheimen
Gewölbe lebt, oder der Skateboard-Typ, der in der Hosentasche
des Jungen sein Zuhause hat. Manchmal sind die Fantasiegefährten
viel jünger als das Kind, das sie erfindet (in 5% der Fälle),
beispielsweise Cream – ein unsichtbares Baby, das auf der Hand des
Kindes lebt. Manchmal sind die Fantasiegefährten aber auch
viel älter als das Kind (in 13% der Fälle), wie zum Beispiel
Nobby, der unsichtbare 106 Jahre alte Geschäftsmann, der mit
dem Kind zwischen seinen Reisen nach Portland und Seattle spricht
(Beispiel Abb. 3).
In 20% der Fälle sind die Fantasiegefährten
Tiere. Oft können sie mit dem Kind sprechen oder auf andere
Weise mit ihm kommunizieren. Manche anderen Freunde aus dem Tierreich
werden zusätzlich mit magischen Kräften oder besonderen
Eigenschaften ausgeschmückt, wie 8% der Fälle zeigen (s.
Abb. 4).
Da ist zum Beispiel Dipper (aus dem Bericht
eines Kindes), ein unsichtbarer fliegender Delfin, der auf einem
Stern lebte, nie schlief und "sehr, sehr, sehr, sehr schnell war".
Er war "ungefähr so groß wie ein normaler Delfin, war
aber mit Sternen bedeckt und anderem Glitzerzeug."
Oder Nutsy und Nutsy (aus dem Bericht eines
Kindes), zwei unsichtbare, leuchtend bunte Vögel, die viel
miteinander stritten und das Kind zum Lachen brachten.
Oder Pepper, Crayon und Golliwog (aus dem
Bericht eines Erwachsenen), drei "Sheas", eine Art unsichtbarer
Floh. Pepper war rosa mit rosa Haaren, Crayon war bunt kariert und
Golliwog war schwarz mit schwarzen Haaren. Das Kind trug sie mit
sich herum und beschützte sie vor den bösen Fremden auf
dem Planeten, die auf der Suche nach ihnen waren.
Neben unsichtbaren Menschen und Tieren gab
es auch noch andere Kategorien, die weniger oft vorkamen. Unser
Sample enthielt auch Superhelden wie Supermann oder Wonder Woman
(3% der Fälle) sowie eine kleine Anzahl an unsichtbaren Feinden.
Nicht alle Fantasiegefährten sind gut oder nett. Manche sind
überwiegend gemein und jagen dem Kind Angst ein. Von den 236
fielen sechs (3%) in diese Kategorie. Zum Beispiel Acher (aus dem
Bericht eines Kindes), ein 5 Jahre alter unsichtbarer Junge, der
"sehr böse zu mir ist, er haut mich, tritt nach mir, zieht
an meinem Hemd und springt von meinem Bett herunter." (Dieses Kind
erwähnte auch ein kleines unsichtbares Mädchen namens
Darnit, sagte aber nichts weiter über sie).
Unter den Fantasiegefährten gibt es
aber auch Gespenster, Engel oder Geister (5%) oder andere Geschöpfe
(9%). Ein Beispiel hierfür ist der "Typ aus dem Metzgerladen"
(aus dem Bericht eines Kindes), ein unsichtbarer grüner Zyklop,
der in der Welt herumreiste und dem Jungen gern von seinen Abenteuern
erzählte. Er arbeitet aber nicht in einer Metzgerei und trägt
auch keine Kleidung, die man von Metzgern kennt – oder von irgend
jemand anderem (s. Abb. 3). Der Junge erinnerte sich nicht mehr
daran, warum er ihn den "Typ aus dem Metzgerladen" nannte. Mit dieser
Figur spielte der Junge zwei Jahre lang. Die Eltern wussten von
ihm, waren aber überrascht, als sie die Zeichnung sahen. Eltern
sind übrigens oft überrascht. Sie wissen manchmal von
dem Freund/von der Freundin, haben aber falsche Vorstellungen davon,
wie er/sie ist.
In einer weiteren Studie haben Stephanie
Carlson und ich 152 Drei- und Vierjährige untersucht. Wir wollten
mehr über Fantasiefreunde von Kindern erfahren, aber auch über
andere Arten von Als-ob-Spielen. Die Kinder wie auch die Erwachsenen
wurden von uns zweimal interviewt, jeweils im Abstand von einer
Woche. Bei der ersten Befragung erkundigten wir uns bei den Kindern
nach Fantasiefreunden auf die folgende Art und Weise: "Jetzt stelle
ich dir ein paar Fragen über Freunde. Manche Freunde sind echt,
wie zum Beispiel die Kinder, die bei dir in derselben Straße
wohnen, mit denen du auch spielst. Und dann gibt es Freunde, die
man sich in der Fantasie vorstellt. Fantasiefreunde gibt es nur
in der Vorstellung und man tut so, als ob es sie wirklich gibt.
Hast Du so einen Fantasiefreund?" Wenn das Kind diese Frage bejahte,
stellten wir ihm daraufhin eine Reihe von Fragen über diesen
Freund / diese Freundin.1
Die Eltern wurden in der ersten Sitzung ebenfalls über die
Fantasiegefährten ihrer Kinder befragt. Auf der Basis der Informationen
aus allen vier Interviews bestimmten wir dann, ob das Kind einen
Fantasiefreund hatte, unsichtbar oder als Spielzeug. In dieser Studie
interessierte uns auch eine andere Art des Als-ob-Spiels. Unter
Rollenspiel versteht man die Art von Verstellung, bei der das Kind
vorübergehend jemanden anderes darstellt und dabei Benehmen
und Sprechweise erfindet. Paul Harris zufolge, dem ich mich hier
anschließe, gibt es drei verschiedene Arten von Spielen, bei
denen Fantasiefiguren vorkommen - der Unterschied liegt in dem jeweiligen
Medium, das für die Figur benutzt wird.
- Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine
Person und beginnt ein Zusammenspiel, benötigt dafür
jedoch keine Requisiten aus seinem Umfeld (d.h. das Kind befasst
sich mit einem unsichtbaren Fantasiefreund)
- Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine
Person und projiziert seine Vorstellungen auf eine Puppe oder
ein Spielzeug; das Kind – so Harris – benutzt die Puppe oder das
Spielzeug als Medium für sein Rollenspiel.
- Das Kind erfindet eine Figur und benimmt
oder verstellt sich entsprechend; hier benutzt sich das Kind selbst
als Medium für sein Rollenspiel, erklärt Harris. Das
Kind tut z. B. so, als wäre es ein Monster, Feuerwehrmann,
Batman etc. (s.a. Tab. 2).
Jede dieser drei Arten von Rollenspiel kann
vom Kind in sehr unterschiedlicher Intensität ausgelebt werden.
Die Kategorie "ausführliches Rollenspiel" zeigte sich bei 39%
der Kinder – also einem großen Prozentsatz unserer Befragten.
28% hatten Fantasiegefährten.
Wir haben 100 von den Kindern im Alter bis
zu 7 Jahren begleitet – 63% davon hatten schon einmal einen Fantasiegefährten.
Tabelle 2:
Rollenspiel (nach Harris, 2000) |
Rollenspiel: Das Kind schlüpft
vorübergehend in die Rolle eines anderen, gibt vor Dinge
zu tun und sagt Dinge im Spiel. |
Kein Medium: Das Kind erfindet
ein Lebewesen oder eine Person und befasst sich damit oder mit
ihr, benötigt dazu jedoch keine Requisite aus seinem Umfeld. |
Spielzeug als Medium: Das Kind
erfindet ein Lebewesen oder eine Person und projiziert dies
dann auf eine Puppe oder ein Spielzeug. |
Das eigene Ich als Medium: Das
Kind wird selbst zur erfundenen Figur oder spielt sie nach. |
Geschlechterspezifische Betrachtungen zeigen,
dass es im Alter bis zu 7 Jahren eher Mädchen sind, die einen
Fantasiegefährten haben. Das heißt aber nicht, dass Jungen
sich seltener auf Rollenspiele einlassen. Bei ihnen ist es nur wahrscheinlicher,
dass sie die Figur selbst spielen und diese weniger als eigenständiges
Individuum behandeln. Das Ergebnis mag mit den Arten von Rollen
zusammenhängen, die Jungen und Mädchen gefallen. Wissenschaftlichen
Untersuchungen von Harter und Chao zufolge gibt es geschlechterspezifische
Charakteristika im Rollenspiel. In ihrer Studie beschäftigten
sie sich zwar ausschließlich mit Fantasiegefährten, fanden
aber heraus, dass die von Mädchen erdachten Fantasiegefährten
eher Zuwendung und Betreuung nötig hatten. Kleine Jungen hingegen
erdachten sich eher Fantasiegefährten, die stark waren – die
Art von Figur, die sich auch gut nachspielen lässt (d.h. die
man auch gerne selbst darstellen möchte).
Fasst man die wissenschaftlichen Erkenntnisse
zusammen, so zeigt sich, dass viele Kinder schon im Alter von 4
Jahren mit ausführlichen Formen des Rollenspiels beschäftigt
sind. Eine enorme Vielfalt an Figuren bevölkert die Fantasiewelt
der Kinder. Obwohl sie viele Figuren aus Büchern sowie Film
und Fernsehen kennen, sind die Figuren aus ihrer Fantasie zum großen
Teil einmalig. Manchmal werden Kinder jedoch auch von außen
auf die Idee eines Fantasiefreundes gebracht. Hinzu kommt noch,
dass Kinder oft auf das Konzept des Lieblingskameraden stoßen,
sei es in Büchern wie "Pu der Bär" oder "Velveteen Rabbit"
oder auch durch das Fernsehen. Ich frage mich, wie viele Kinder
auf den Gedanken kamen, sich einen unsichtbaren Freund zu erschaffen,
nachdem sie "Big Bird" (dt. Bibo) und "Snuffleupagus" angesehen
hatten.2 Der Punkt ist
jedoch, dass die Fantasiefiguren, die die Kinder für ihre eigenen
Spiele erfinden, große Originalität besitzen. Manche
kleinen Jungen laufen zwar herum und tun so, als wären sie
Batman, und manche kleinen Mädchen haben unsichtbare Versionen
von Disney-Figuren wie "Die kleine Meerjungfrau" als ihre Fantasiefreunde,
aber alles in allem ist die Vielfalt unglaublich groß (s.
Tab. 3).
|
Tab. 3: Häufigkeit von Rollenspielen
bei Mädchen und Jungen |
Unsere Forschungsarbeit zeigt auch, dass
aktives Rollenspiel vom Grad der sozialen Entwicklung abhängt
(z. B. dass ein Kind sich in die Lage einer anderen Person versetzen
kann). Es verbindet sich also mit Eigenschaften, die bei kleinen
Kindern insgesamt als positiv zu bewerten sind. Das deckt sich auch
mit anderen Forschungsergebnissen aus letzter Zeit. Unsere Ergebnisse
widersprechen dem gängigen Klischee, wonach sich ein Kind einen
Freund ausdenkt, weil es zu scheu oder in sich gekehrt ist. Wie
sich herausgestellt hat, haben diese Kinder sogar weniger Hemmungen
und genießen soziales Miteinander ausgesprochen.
Es heißt manchmal, dass es Kindern,
die ganz in ihrer Welt mit ihrem Fantasiegefährten aufgehen,
an Realitätssinn mangelt, da sich dabei die Grenze zwischen
Fantasie und Realität verwischt. Von Kindern wird immer wieder
gesagt, dass sie gewisse Schwierigkeiten haben, zwischen diesen
beiden Welten zu unterscheiden.
Ohne Zweifel geben wir ihnen mit dem vielen
Fantasiematerial im Angebot eine ganze Menge zum Nachdenken und
nicht immer verstehen sie alles richtig. Was jedoch der Vorstellungskraft
der Kinder selbst entspringt, hat einen anderen Stellenwert als
die Fantasieprodukte, die ihnen fertig präsentiert werden.
Wenn es um Fantasiegefährten geht, wissen die Kinder dem Anschein
nach genau, was Sache ist. Es mag ein paar Kinder geben, die glauben,
ihre Freunde seien echt, aber die meisten – auch wenn sie ihre Fantasiegefährten
wirklich sehr mögen und ganz in dieser Fantasie aufgehen –
wissen ganz genau, dass es sie nicht gibt.
Und so halten Kinder, die ich über ihre
Fantasiegefährten befrage, oft irgendwann im Laufe des Interviews
inne, schauen mich geradeaus an und sagen: "Weißt du, es ist
nur so als ob."
ANMERKUNGEN |
1
Name, Spielzeug oder ganz ausgedacht, Geschlecht, ALter, Aussehen,
was das Kind an ihm mochte bzw. nicht mochte, und wo dieser Freund
lebt.
2
Eine Konstellation zwischen Bibo und einem Freund, den bis 1985
nur er selber sehen konnte, bis er dann für alle sichtbar
wurde.
LITERATUR |
Gleason, T. R.; Sebane,A.
M.; McGinley J.; Hartup, W. W.: Invisible friends and personified
objects: Qualitative differences in relationships with imaginary
companions. Paper presented at the biannual meeting of the Society
for Research in Child development: Washington, DC 1977.
Harris, P. L.: The work
of the imagination. Oxford: Blackwell 2000.
Harter, S.; Chao, C.: The
role of competence in children’s creation of imaginary friends.
Merrill-Palmer Quarterly, 38/1992/-, S. 350-363.
Taylor, M.: Imaginary companions
and the children who create them. New York, N.Y.: Oxford University
Press 1999.
Taylor, M.; Carlson, S.
M.: The influence of religious beliefs on parental attitudes about
children's fantasy behavior. In: Johnson, C.; Rosengren, K. (Hrsg.):
Imagining the impossible: The development of magical, scientific,
and religious thinking in contemporary society. Cambridge, MA:
Cambridge University Press 2000, S. 247-268.
Taylor, M.; Carlson, S.
M.; Gerow, L.: Imaginary companions: Characteristics and correlates.
In: Reifel, S. (Hrsg..): Play and culture studies: Theory in context
and out (Bd. 3). Westport, Conn.: Ablex Publishing 2001, S. 179-198.
Taylor, M.; Carlson, S.M.:
Imaginary companions and elaborate fantasy in childhood: Discontinuity
with nonhuman animals. In: Mitchell, R. W. (Hrsg.): Pretense in
animals and humans. Cambridge, MA.: Cambridge University Press
2002, S. 167-182.
DIE AUTORIN |
Marjorie Taylor, Dr. phil., ist Professorin
und Leiterin des Department of Psychology, University of Oregon
in Eugene, Oregon, U.S.A.
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