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Ekkehard Sander
Medien im Jugendalter
Rückblicke von Eltern und ihren
heranwachsenden Kindern
Familien gehen mit dem
Fernsehen und anderen Medien vielfältig um, d.h. abhängig
von den Medienbiographien der Eltern, persönlichen Vorlieben,
Kommunikationsstilen u.v.a. Zwischen Eltern und Jugendlichen gibt
es bei der Programmauswahl viel Kompromissbereitschaft.
Negativ-gefärbte
Vorstellungen über den Umgang der Jugendlichen mit Medien halten
sich hartnäckig, doch der gelebte Medienumgang in Familien
wurde bisher im deutschsprachigen Raum kaum empirisch erforscht.
Nun liegen dazu Ergebnisse einer Längsschnittstudie des Deutschen
Jugendinstituts (DJI) in München vor. Von 1992 bis 1998 wurden
22 Münchner Jugendliche und deren Familien über die Zeit
ihrer Jugend hinweg (von 13 bis 20 Jahren) dreimal zu ihren Medienerfahrungen
befragt. Die Familien kommen aus der Mittelschicht und sind mit
Problemen, wie Arbeitslosigkeit, Schulden, Schulprobleme der Kinder,
Erziehungs- und Beziehungsschwierigkeiten der Eltern, Trennung oder
Scheidung vom Partner, konfrontiert.
Die befragten Jugendlichen
zählen zur "Fernsehgeneration" der 90er Jahre. Sie sind mit
den Bildern und Geschichten des Fernsehens - und natürlich
auch mit anderen Medien - aufgewachsen. Diese sind selbstverständlicher
Bestandteil ihrer individuellen Medienbiographie. Durch das wiederholte
Sehen von Filmen und durch die Rezeption anderer Medien, wie z.
B. Märchen- und Musikkassetten, sind sie mit unterschiedlichen
Inhalten und Stilen vertraut (von Action bis Horror, von Beziehungs-
bis zu Satansfilmen, von Liebe, Erotik, Sex bis Science Fiction,
und von der "Lindenstraße" bis zu "Gute Zeiten, schlechte
Zeiten"). Neben diesem Medienwissen entwickeln sie im Umgang mit
Medien auch soziale Kompetenzen, indem sie Medieninhalte und Medienerfahrungen
zur Bewältigung ihres Alltags nutzen, sich mit den eigenen
Medienvorlieben vom Geschmack ihrer Eltern und Geschwister absetzen
und somit ein Stück Abgrenzung und eigene Persönlichkeit
ausdrücken. Für die Jugendlichen dieser Fernsehgeneration
sind die Musik- und Printmedien ebenso wichtig, doch das Fernsehen
entwickelte sich bei ihnen zum Leitmedium. Erfahrungen mit dem Computer
haben diese Jugendlichen (der 90er Jahre) erst in ihren späteren
Lebensjahren gemacht. Heutige Jugendliche dagegen gehören eher
der Computer-Generation an, da diese von klein auf mit dem Computer
aufwachsen. Und dennoch spielt auch bei ihnen das Fernsehen immer
noch eine große Rolle, so dass beide "Generationen" deutliche
Parallelen in ihrer Mediensozialisation aufweisen.
1.
Welche Rolle spielen die Medien im Alltag der befragten Jugendlichen
und ihrer Eltern?
Der Medienumgang von Familien
hat eine Vielfalt an Ausprägungen angenommen und wird jeweils
bestimmt von der Medienbiographie der Elterngeneration, den persönlichen
Präferenzen, Kommunikationsstilen sowie den medienbezogenen
Erziehungs- und Handlungskonzepten der jeweiligen Familienmitglieder.
Wie Familien Medien gebrauchen, hängt ferner von den soziokulturellen
Voraussetzungen, nicht zuletzt von der Schichtzugehörigkeit
sowie den Bildungsmöglichkeiten und außerschulischen
Bildungschancen ab. Hinzu kommen sowohl subjektive Nutzenerwartungen
als auch übergreifende Leitideen einer Familiengemeinschaft,
ferner geschlechts- und generationsspezifische Sozialisations- und
Lebenserfahrungen, die allesamt die Art und Weise des Medienumgangs
von Familien und ihren Mitgliedern einfärben. Somit kann von
Medienumgangsstilen gesprochen werden, die eingebunden sind in Lebensstile
als Ausdrucksformen individueller Lebensgestaltung. Familie ist
der erste Ort, an dem die Kinder den Umgang mit einzelnen Medien
lernen. Was sie von den Eltern lernen, hängt stark davon
ab, wie in der Familie kommunizert wird. Die Eltern sind
nicht nur bei der Auswahl und Bewertung der Kinderserien einflussreich,
sondern beeinflussen noch nachhaltiger den Geschmack ihrer Kinder
durch ihre indirekten Bewertungen der verschiedenen Medien, z.B.
wie sie über Filme sprechen, welchen Stellenwert sie ihrer
alten und neuen Lieblingsmusik in ihrem Alltag einräumen, indem
sie sich z.B. für die Musik ihrer Kinder interessieren und
diese ab und zu mal anhören, oder indem sie den Kindern ihre
Musik vorspielen und über ihren Geschmack als Jugendliche erzählen.
Die Untersuchungen zum Thema "Familie und Medien" zeigen:
- dass
in der Familie soziales und mediales Handeln eng miteinander verknüpft
sind;
- dass Medienhandeln in die alltagsweltlichen
Erfahrungen und Orientierungen eingebunden ist;
- dass sich die Bedeutung der Medien im
Gesamtkontext der Familie für die einzelnen Familienmitglieder
verändert bzw. sie sich gegenseitig beeinflussen;
- dass sich in der Erinnerung der von uns
befragten Eltern einzelne Medienerfahrungen (ein Gruselfilm; der
Liebesfilm "Sissi"; ein bestimmtes Lied, eine Liebesszene in einem
Film) mit ihren verschiedenen biographischen Lebensphasen verbinden.
Sie "rufen" Erinnerungen an Erlebnisse mit Freunden und an die
damit verbundenen Gefühle und Stimmungen wach. Einzelne wichtige
Medienerfahrungen definieren einzelne Lebensphasen der Eltern
und umgekehrt: Eltern sprechen über einzelne Lieder und Filme,
wenn sie über ihre eigene Jugend erzählen;
- dass die Bedeutung von Medien davon abhängig
ist, in welchen unterschiedlichen Lebensverhältnissen sich
eine Familie befindet (Schicht, Einkommen, Bildungsniveau, Wohnort,
Wohnungsgröße, Familienform). Die Bedeutung eines zunächst
so allgemein erscheinenden und gerne übergangenen Begriffs
wie z.B. "Lebensverhältnisse und Einkommen" zeigt sich deutlich
in der Medienausstattung, wie die oben genannten Beispiele zur
Nutzung von Kabelangeboten und Online-Diensten zeigen.
Die Untersuchungen zum Thema:
"Familie und Medien" belegen ferner, dass die Faktoren "Familienklima"
und die Kommunikationsstile in der Familie den tatsächlichen
Umgang mit den Medien prägen. Die Eltern können durch
ihr Verhalten und ihre Art der Medienerziehung den Kindern (medienbezogene)
Rahmen vermitteln, mit deren Hilfe die Kinder ihre Erfahrungen mit
Medien lernend verarbeiten können. Bedeutsam ist, wie
die Eltern sich zu den Medieninhalten jeweils verhalten, z.B. Bejahung,
Verneinung, Bestärkung, Ablehnung, emotionale oder rationale,
positive oder negative Verstärkung. Die Kinder lernen von ihren
Eltern medienbezogene Wissens- und Handlungskonzepte. Bei den befragten
Eltern und Jugendlichen ist eine ausgeprägte Gesprächs-
und Kompromissbereitschaft festzustellen. Kompromiss bedeutet nicht
nur miteinander reden oder einfach nachgeben können,
sondern ist eher die bewusste Übereinkunft von zwei oder mehreren
Personen, die dazu bereit sind, sich gegenseitig entgegen zu kommen.
Auf die direkte Frage, was passiert, wenn die Familienmitglieder
unterschiedliche Wünsche haben, antworteten Jugendliche und
Eltern in den meisten Fällen, dass sie immer "irgendwie"
zu einem Kompromiss kommen:
- "Jeder trägt seine Wünsche
entschieden vor, und dann einigt man sich."
- "Die Erfüllung der Wünsche
hält sich die Waage."
- "Mal darf die Mutter bestimmen,
mal darf ich bestimmen."
- "Dann wird darüber gesprochen
und dann kommen wir schon irgendwie zu einem Ergebnis."
- "Mal so, und dann mal so."
2.
Die Jugendlichen verändern sich und damit ihr Umgang mit ihren
Lieblingsmedien
Wie haben sich die (Medien-)Tätigkeiten
im Alltag der von uns befragten Jugendlichen verändert? Schule
(inklusive Hausaufgaben), Ausbildung, Beruf und Studium beanspruchen
die meiste Zeit des Alltages. Ab dem 16. Lebensjahr steigt diese
Zeit um circa eine Stunde, was die Freizeit einschränkt. Das
16. Lebensjahr steht zum einen für Abschlüsse (Hauptschule:
9. Klasse, Qualifizierter Hauptschulabschluss; Beginn der Lehre)
zum anderen für verstärktes Lernen im Gymnasium (Mittlere
Reife, Anwachsen der Lernfächer). Das Hören von Musik
steht konstant an zweiter Stelle der Tätigkeiten und ist damit
die wichtigste Medientätigkeit der gesamten Adoleszenz.
Musik hören unterscheidet sich jedoch, was den Zeitaufwand
betrifft, und schwankt bei den Jugendlichen zwischen einer und drei
Stunden täglich.
Das Fernsehen und
das Anschauen von Videos erfährt ab dem 15. Lebensjahr
einen drastischen Einbruch. Aus den 13/14-jährigen "Vielsehern"
werden "Normalseher". Ab 16 Jahren pendelt sich dann die Fernsehzeit
auf maximal eineinhalb Stunden ein. Bei den jungen und berufstätigen
Paaren in eigener Wohnung dagegen steigt die Zeit des Fernsehens
wieder an. Das Telefonieren kommt noch vor dem Lesen mit
einer Dreiviertel Stunde durchschnittlich pro Tag. Ein Viertel der
Jugendlichen telefoniert täglich zwischen einer und eineinhalb
Stunden. Das Telefon dient ab dem 15. Lebensjahr vor allem der gegenseitigen
Unterstützung: sich mitteilen, zuhören, Kummer und Sorgen
austauschen. Das Lesen nimmt über die Zeit der Adoleszenz
stetig ab - außer dem zunehmenden Lesen der Schul- oder Studienbücher.
Dabei gibt es Vielleser (täglich bis zu zwei Stunden) und Wenigleser
(Mehrheit der befragten Jugendlichen/jungen Erwachsenen). Der niedrigste
Stand des Lesens ist mit 19/20 Jahren erreicht: "Keine Zeit mehr
zum Lesen, und kein Interesse."
Das Computern nimmt
über die Zeit der Adoleszenz stetig zu. Im Alter von 13/14
Jahren bestand es vor allem aus Computerspielen. Doch mit Lehre,
Ausbildung, Beruf, Abitur und Studium wird der Computer zunehmend
mehr als technisches Hilfsmittel benutzt. Die Tätigkeiten außer
Haus (outdoor activities) nehmen bei den von uns befragten Jugendlichen
im Laufe der Adoleszenz stetig zu. Mit den Freunden und Freundinnen
zusammen sein, steht an erster Stelle der Wünsche, und dafür
nutzen sie auch jede Gelegenheit. Im Verlauf der Adoleszenz verändern
sich Quantität und Qualität dieser Tätigkeiten stetig.
Die Medien-Tätigkeiten finden vor allem in der Freizeit statt,
also in jener Zeit, in der eher persönliche Vorlieben und Interessen
verfolgt werden (können).
Freunde sind wichtiger als Fernsehen
und die anderen Medien
Im Alter von 13/14 Jahren
spielen die Medien, insbesondere das Fernsehen, insgesamt eine zentrale
Rolle, doch mit 15/16 Jahren tritt bei den Jugendlichen ein "Effekt
der Sättigung" ein. Durch das wiederholte Sehen von Serien
und Spielfilmen ist ihnen mittlerweile vieles bekannt, zumal die
meisten Serien immer nach dem gleichen Strickmuster gebaut seien.
Aus den 13/14-jährigen Vielsehern werden mit 15/16 Jahren "Normalseher".
Mit 16 Jahren pendelt sich dann die Fernsehdauer auf ca. 90 Minuten
pro Tag ein. "Fernsehen hängt mir zum Hals raus", "Fernsehen
ist Zeitverschwendung" – das sind Redewendungen, die von den Jugendlichen
in diesem Alter häufig gebraucht werden. Ein 20-jähriger
Fachoberschüler kommt in seinem Rückblick auf die Kindheit
und Jugend zu folgendem Schluss: "Es sind wahrscheinlich die Kinder,
die in der Kindheit zu wenig geschaut haben, die schauen dann später
ziemlich viel, und die, die es hatten, die, schätz’ ich mal,
die haben genug und suchen sich etwas anderes." Die Jugendlichen
äußerten in den drei Befragungen immer wieder den Wunsch,
mit ihren Freundinnen und Freunden möglichst oft und lange
zusammen zu sein. Dafür nutzten sie jede Gelegenheit, und dafür
wünschten sie sich durchgängig "mehr Zeit". Jugendzeit
ist nicht nur Medienzeit. Mit 15/16 Jahren ist das Fernsehen bei
den meisten Jugendlichen "out", denn die Freunde und Freundinnen
sind ihnen jetzt wichtiger.
Der Abkühlungseffekt des Fernsehens
bei den 15/16-jährigen Jugendlichen
Dieser Abkühlungseffekt
des Fernsehens mit zunehmendem Alter ist eine Konsequenz aus der
Tatsache, dass der Alltag der befragten Jugendlichen immer mehr
ausgefüllt ist mit Lernen für Schule und Prüfungen,
mit Ausbildung, Studium, Beruf und Zivildienst. Die aktive Gestaltung
und Pflege ihrer Freundschaften steht jetzt im Mittelpunkt. Ferner
löst die Vorliebe für andere Medien (wie Musik, Computer,
Theater, Zeitung u.ä.) das Fernsehen ab. Zunehmende Bedeutung
bekommt der Besuch der aktuellen Kinofilme zusammen mit den gleichaltrigen
Freunden. Damit verbunden ändert sich die Einstellung zum Fernsehen
("TV ist nicht mehr das, was es einmal war") und zu dem Stellenwert
von Medien insgesamt. Die Neugier und das Flanieren durch die Fernsehprogramme
verlieren ihre Faszination und werden abgelöst durch klare
individuelle Medienvorlieben und durch das Interesse und die Auseinandersetzung
mit dem, was die Freunde mögen. Dennoch bleiben viele Jugendliche
ihren früheren Lieblingsfilmen und Lieblingsserien aus dem
Fernsehen treu. Auch als junge Erwachsene (mit 19/20 Jahren) sehen
sie sich diese ab und zu noch gerne an.
Die befragten Jugendlichen
markieren mit ihren Medienerlebnissen und -erfahrungen ihre Entwicklungsschritte.
Eine 19-jährige Abiturientin berichtet über ihre Lieblingsfilme,
die "einen umgehauen haben" und einen "Anker in die Biografie werfen."
Die meisten der befragten 15/16-jährigen Jugendlichen der 2.
Befragung nennen z. B. "Schindlers Liste" als einen beeindruckenden
Film, der sie in ihren Vorstellungen über das menschliche Verhalten
erschüttert bzw. bei ihnen ein neues Bewusstsein angeregt hat.
Solche "Medien-Anker" können aber auch Musikstücke sein,
die sie in bestimmten Situationen hörten und bei deren Wieder-Hören
die damit verbundenen Stimmungen und Gefühle unwillkürlich
wieder lebendig werden. Mit zunehmendem Alter ändern sich die
Interessen und (Entwicklungs-) Themen der befragten Jugendlichen.
So kippt beispielsweise bei den Jungen die Vorliebe für Actionfilme
in die Vorliebe für Beziehungsfilme oder Dramen wie "Schindlers
Liste" um. Mädchen dagegen erweitern ihre Vorliebe für
Tanz- und Beziehungsfilme (wie "Dirty Dancing" und "Pretty Woman")
mit dem Interesse für Action- und Abenteuer-Filme, um sich
mit Aspekten der Gewalt oder mit den Verhaltensmustern des Sich-Durchsetzens
und Bestehen-Könnens in schwierigen Situationen auseinander
zu setzen. Rückblickend waren die Jugendlichen oft darüber
erstaunt, dass sie vor einem Jahr noch für jenen Film, für
jene Musik oder für jenen Star schwärmten.
3.
Die Bedeutung der Medien in der Adoleszenz
Die jungen Erwachsenen schätzen
in ihrem Rückblick auf die Adoleszenz die Medien als "zweitrangig"
ein. Die Medien sind ihrer Meinung nach nicht entscheidend für
die Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Doch bei allen Befragungen
(mit 13/14, 15/16 und 19/20 Jahren) erzählen uns die Jugendlichen
bzw. jungen Erwachsenen ausführlich von ihren Medienerlebnissen,
Medienvorlieben sowie ihrer Betroffenheit bei Medienereignissen.
Sie betonen, dass die Medien ihren Wissenshorizont sowie ihr Bewusstsein
erweitern. Im Laufe der Adoleszenz entwickeln die Jugendlichen eine
zunehmende Distanz zu den Medien und reflektieren kritisch den eigenen
Umgang mit Medien. Neben den klassischen Medien (Musikmedien, Fernsehen,
Video) werden im Laufe der Adoleszenz andere Medien entdeckt, was
die Bedeutung des Fernsehens relativiert (z.B. Zeitungen, Theater).
Medienereignisse und Medienerlebnisse dienen der Markierung für
die biografische Erinnerung. Lieblingsmedien und deren Inhalte werden
als beeindruckende (Medien-)Erlebnisse zum Erfahrungsschatz der
eigenen Biografie, indem sie die Selbstvergewisserung über
die persönlichen Veränderungen anregen. Bei den Jugendlichen
entwickelt sich eine "Treue zu Lieblingsmedien", in denen vor allem
ihre persönlichen Themen aufbewahrt sind. Die Treue zu bestimmten
Medien ist zugleich Ausdruck für die "Treue zu sich selbst".
In der Adoleszenz verwenden die Jugendlichen die Medien vor allem
dazu, um mit ihrer Umwelt in Kontakt zu kommen: Medien werden zum
Thema von Gesprächen mit den anderen Familienmitgliedern sowie
mit den Freunden und dienen als Rahmen für gemeinsame kulturelle
Praxen (gemeinsames Fernsehen, Musikhören, Videospielen, gemeinsamer
Besuch von Kinos, Konzerten u.ä.). Das bevorzugte Insel-Medium
der Jugendlichen/jungen Erwachsenen ist insgesamt die Musik. Auf
der Wunschliste nach "Mehr Zeit für..." fehlen die Medien.
Der Bedarf an Medien(-Nutzung) ist bei den von uns befragten Jugendlichen
gestillt. Mit steigendem Alter wünschen sie sich aufgrund des
immer stärker verplanten Alltags mehr Ruhe und weniger Kommunikation.
Der Anspruch, sich in den Medien (besonders) auszukennen und als
Experte in bestimmten Mediensachen zu gelten, lässt mit 15/16
Jahren nach. Selbstständiger werden beinhaltet für die
19/20-Jährigen auch eine zunehmende Unabhängigkeit gegenüber
den Medien und deren (aktuellen) Angeboten. Damit verbunden verändert
sich auch ihr Umgang mit Medien sowie die Einschätzung des
Stellenwertes der Medien. Die Musik steht insgesamt für Wohlbefinden.
Die Suche nach den individuellen Themen
Bei den befragten Jugendlichen
lassen sich zwei Umgangsweisen mit dem Fernsehen unterscheiden:
einmal der flanierende Umgang, zum anderen der fokussierte bzw.
themenzentrierte Umgang. Die Jugendlichen grasen das laufende Fernsehprogramm
meist flanierend ab, bis sie auf etwas stoßen, das sie interessiert
und an dem sie "hängen bleiben". Einerseits sind dies die bekannten
und vertrauten Medienangebote, genauso aber auch das Fremde, Unheimliche
und das "ganz andere" ("the significant other"). Die Inhalte und
Themen der Spielfilme vermitteln den Jugendlichen neue und andere
Erfahrungen, denn diese Medien-Erfahrungen ergänzen, erweitern
und erschüttern ihre Real-Erfahrungen. Andererseits treffen
sie eine gezielte Auswahl, wenn sie einen bestimmten Spielfilm,
eine Serie oder Sendung sehen wollen. Die Werbeunterbrechungen werden
dabei zum Zappen genutzt. Je älter die befragten Jugendlichen
werden, desto deutlicher werden ihre thematischen Interessen zum
Ausgangspunkt ihrer Auswahl – umgekehrt werden ihre individuellen
Themen und Leitmotive indirekt aber auch in der Auswahl ihrer Lieblingssendungen
sichtbar. Was mit diesen Themen nichts zu tun hat, tritt deutlich
in den Hintergrund.
Was suchen die Jugendlichen in den
Medien?
Die Medien enthalten eine
Palette von Themen, in denen die Jugendlichen immer etwas "für
sich" finden und in denen sie Antworten auf ihre Fragen und Zweifel
bekommen, auch wenn diese Antworten sehr vielfältig und unterschiedlich
sein können: Wie verhalte ich mich, wie sehe ich mich selbst,
wie sehen mich die Eltern, wie die Freunde, wie komme ich als Mädchen,
als Junge bei den anderen an? Neben der für Jugendliche nach
wie vor wichtigen Musik ("Musik spendet Trost, verstärkt Stimmungen
und fasst Gefühle in Worte und Töne und bringt sie zum
Ausdruck") setzen sich die Jugendlichen vor allem intensiv mit Spielfilmen
auseinander. Die Mädchen und Jungen haben jeweils ihre aktuellen
"persönlichen Lieblingsfilme" (sie nennen diese auch "meine
Mega-Filme" und schauen sich diese häufig an). Die befragten
Jugendlichen sehen Woche für Woche und Jahr für Jahr eine
Menge an Spielfilmen, doch als "persönliche Lieblingsfilme"
berichten sie von solchen Spielfilmen, die unmittelbar mit ihren
Entwicklungsthemen und Lebenssituationen zu tun hatten. Der Vergleich
dieser persönlichen Lieblingsfilme lässt dann bei vielen
Jungen und Mädchen ein bestimmtes "Lebens-Thema" erkennen,
das gleichsam wie ein Motto für die Lebensgeschichte der jeweiligen
Jugendlichen steht.
Dabei stechen zwei Themenbereiche besonders
hervor:
- Die Suche nach Bildern des Männlichen
und des Weiblichen;
- die Suche nach der Herkunft und
nach den eigenen Wurzeln.
Bei der Themensuche der
befragten Jugendlichen zeigt sich in der Auswahl ihrer Lieblingsfilme
ein Leitmotiv: Es ist die Suche und das Bedürfnis nach Sicherheit,
Verlässlichkeit sowie nach dem Gefühl der Geborgenheit.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig - in dieser Untersuchung
tauchte das Thema besonders deutlich in Stief-Familien und Adoptiv-Familien
auf. Die befragten Jugendlichen bearbeiteten dieses Thema in der
Weise, dass sie sich einerseits mit ihrer eigenen Vergangenheit
auseinander setzten. Hier spielen die immer wieder angeschauten
früheren Lieblingsfilme und -serien eine wichtige Rolle. Die
Medienerfahrungen der Vergangenheit bewahren in einer verschlüsselten
Form die frühen Kindheitserlebnisse auf – die Erinnerung daran
ist eine Form der Selbstvergewisserung über den eigenen Weg
und über das bereits Erreichte hier und heute. Ohne eine eigene
Geschichte kann man nicht leben – die individuellen Medienerfahrungen
sind für sie wichtige Markierungspunkte in der eigenen Biographie.
Auf der anderen Seite konzentriert sich die Suche nach den Bildern
des Männlichen und des Weiblichen auf ihr Selbstbild als junge
Frau und als junger Mann und auf die Suche nach dem eigenen Weg.
Die Lieblingsfilme enthalten den Stoff, aus dem ihre Zweifel und
Träume sind, und regen sie an, sich ihr eigenes Leben in der
Zukunft auszumalen. Die Auswahl dieser "persönlichen Lieblingsfilme"
ist nicht zufällig, sondern unmittelbar mit dem eigenen Leben
verknüpft. Die Medien mit ihren Geschichten werden für
sie zu Spiegeln ihrer eigenen Lebenssituation. Einige der befragten
Jungen leiden darunter, dass sie ihren Vater nicht kennen oder dieser
abwesend ist. Ihre Phantasien beschäftigen sich mit der Frage,
was einen Vater als Mann stark und liebenswert machen könnte.
Antworten suchen sie z. B. in Filmen wie: "Mit stählerner Faust",
"Ohne Ausweg", "Krieg der Sterne" u.a. Die befragten Mädchen
setzen sich mit der Frage auseinander, welches Bild sie von sich
selbst als Frau haben und welche Eigenschaften und Merkmale sie
bei ihren Lieblingsstars schätzen und bewundern, aber auch,
welches Verhalten und welches Aussehen sie an den weiblichen Stars
überhaupt nicht mögen. Sie fragen: "Was ist es, was diese
Stars für mich so anziehend macht, und wie ist das bei mir?"
Gefragt ist nicht die kritiklose Nachahmung, sondern die Suche nach
dem eigenen Geschmack und danach, wodurch er sich von dem der anderen
unterscheidet. Gefühle des Mangels und des Unfertigen stehen
hier im Kampf mit Gefühlen der Euphorie und des Übermuts.
Einige der befragten Mädchen sehen bis zu zwanzig Mal Filme
wie "Dirty Dancing", "Pretty Woman", "Grüne Tomaten" oder "Der
Feind in meinem Bett". Jugendliche, die sich ihren Ängsten
vor der Zukunft sowie dem Schrecken vor Horror und Gewalt stellen,
wählen zu persönlichen Lieblingsfilmen "Das Schweigen
der Lämmer", "Friedhof der Kuscheltiere, "From Dusk till Dawn"
oder "Der mit dem Wolf tanzt".
Medien als persönliches Gesprächsthema
und als persönlicher Gewinn
Spielfilme, Serien, Stars
sowie die Musikstile sind nicht nur ein Bestandteil des gemeinsamen
kulturellen Wissens der Jugendlichen, sondern auch Ausdruck ihrer
gemeinsamen Jugendkultur, denn sie greifen damit auf einen gemeinsamen
Vorrat an Geschichten und Informationen zurück, auch wenn sie
diese jeweils für sich unterschiedlich erleben oder verarbeiten.
Wer etwas über einen Medieninhalt erzählt, der erzählt
meist auch eine Geschichte aus seinem eigenen Leben. Diese Erzählungen
über die Medieninhalte enthalten zugleich immer auch eine Fülle
von eigenen Interpretationen und die damit verbundenen Gefühle
und Gedanken. Sie enthalten Schlüssel und Hinweise darauf,
was die erzählende Person für sich selbst aus einer Geschichte
oder aus einem Lied für sich als Person herausfindet, was aus
einer Schilderung eines Schauspielers oder einer Sängerin für
sie persönlich heraustönt. Die Jugendlichen verwenden
ihre Lieblingsmedien nicht nur für sich, sondern vor allem
für ihre sozialen Beziehungen, und um mit ihren gleichaltrigen
Freunden in Kontakt zu kommen: Medieninhalte sind ein Standardthema
in den Gesprächen mit Freundinnen und Freunden und mit Geschwistern
und Eltern. Medien bilden einen Rahmen für gemeinsame Tätigkeiten
sowohl in der Familie als auch in den Gleichaltrigen-Gruppen (gemeinsames
Fernsehen, Musikhören, Video- und Telespielen, gemeinsamer
Besuch von Kinos, Konzerten, Büchereien u.ä.). Entgegen
der geläufigen Auffassung, dass die Medien die Familienmitglieder
voneinander isolieren, wird in den Familien meist sehr viel über
Medien geredet. Dieses gemeinsame Reden über Medien findet
etwa bis zum 15. Lebensjahr statt. Ab dem 16. Lebensjahr nimmt dies
wieder ab und geht einher mit der Abnahme des (gemeinsamen) Fernsehens
sowie dem Wunsch der Jugendlichen, sich mehr mit den Freundesgruppen
zu treffen sowie sich mehr von den Geschmacksvorlieben und Alltagsgewohnheiten
der Eltern abzusetzen. Ferner werden in diesem Alter die Themen
Schule, Ausbildung, Studium, Beruf und die positiven und negativen
Erfahrungen mit ihren Freundschaften wichtiger. Das Reden über
Medien insgesamt ist zu einem selbstverständlichen Bestandteil
der alltäglichen Kommunikation geworden und hat in den Familien
sowie in den Gleichaltrigen-Gruppen eine besondere Qualität
bekommen. Denn das Sprechen über Serien oder Spielfilme erlaubt
es den Jugendlichen, die Mediengeschichten abzuwandeln, indem sie
beim Erzählen ihre eigene Erfahrungen und Gefühle mit
einbeziehen und so nicht gleich mit ihrem "eigenen Thema" oder ihrer
"eigenen Meinung" herausrücken zu müssen. Das Reden über
Medien benutzen die Jugendlichen in den Gleichaltrigen-Gruppen vor
allem als Gesprächsouvertüre, um sich selbst in ein Gespräch
in der Gruppe einzumischen und um es mitzutragen und mitzugestalten.
Ferner dient ihnen dieses Reden als Camouflage, indem sie die eigenen
Wünsche, Ängste und Probleme tarnen und so ausprobieren
können, wie das (eigene) Thema in der Gruppe aufgenommen wird.
Dazu gehört auch das Moment der Provokation, um sich selbst
und die anderen zu testen. Gelingt ihnen dies, dann können
die Jugendlichen leichter von sich und über sich reden. Was
das Reden über Medien in den Familien betrifft, so teilen die
Eltern mit, dass ihre Töchter und Söhne ihnen oftmals
ausführlich von Spielfilmen oder Serien berichten, so dass
eigentlich deutlich auf der Hand liegt, was den jeweiligen Jugendlichen
innerlich beschäftigt. So sprechen die Töchter und Söhne
ihre Eltern nach dem gemeinsamen Anschauen von Beziehungsfilme oftmals
auf die Eltern-Paarbeziehung an: "Lasst ihr euch auch scheiden?"
"Liebt ihr euch noch?" "Werdet ihr auch zusammen alt?"
Sich selbst im Spiegel sehen – Medien
als Herausforderung
Medien und insbesondere
Spielfilme regen die Jugendlichen in besonderem Maße dazu
an, sich der eigenen Person zu vergewissern, denn im Spiegel der
Mediengeschichten erkennen sie sich selbst. Für die Suche nach
einem Spiegel für ihre Themen in den Medien gibt es einen dramaturgischen
Dreier-Schritt: Dieser Prozess beginnt mit 13/14 Jahren, wenn sich
in Zusammenhang mit den neuen Entwicklungsthemen und -aufgaben die
jeweils persönlichen Themen herausbilden (Abschied von der
Kindheit; Angst vor dem Unbekannten; Abgrenzung gegenüber den
Eltern; Suche nach dem unbekannten Vater; Rebellion gegen Autoritäten).
Die Medien-Geschichten spiegeln ihnen ihre Hoffnungen, Wünsche
und Ängste wider und bewirken, dass die Jugendlichen ihre Fragen
und Zweifel begreifen und annehmen können.
Mit 15/16 Jahren schält
sich dann das persönliche Thema heraus, das sie jeweils noch
lange begleiten wird: Die Erfahrungen mit sich selbst, das Erkennen
der eigenen Stärken und Schwächen, die Erlebnisse mit
den Freundinnen und Freunden sowie mit der (ersten) Liebe, ferner
die Erkenntnisse aus ihren inneren und äußeren Reisen.
Als Spiegel für diese Reisen bleiben solche Medieninhalte wichtig,
die diese Erfahrungen ansprechen können – seien es Filme oder
Liedtexte, oder auch Bücher. Mit 19/20 Jahren werden dann die
persönlichen Themen deutlich und bewusst. Aufgefordert, die
für sie in der zurückliegenden Jugendzeit wichtigen Medien
(Filme, Musik, etc.) zu nennen, war ein Ergebnis überraschend:
Die Lieblingsmedien im Alter von 13/14 Jahren haben für die
befragten Jungen und Mädchen auch nach 5 Jahren noch immer
Bedeutung – die Themen und Probleme, die dort angesprochen wurden,
besitzen immer noch eine verblüffende Aktualität für
sie. Immer noch ist der Wunsch nach dem idealen Partner bei einigen
Jungen und Mädchen unerfüllt – in ihren Lieblingsmedien
finden sie ein Echo für diese Gefühle – sie werden dort
aufbewahrt und bleiben für sie lebendig. Sie sind Spiegel und
Selbstvergewisserung zugleich.
Der Medienumgang in den Familien beginnt
mit dem Gemeinsamen und mündet im Individuellen: Eltern als
kritische Förderer und Begleiter
Im Alter der Jugendlichen
von 13/14 Jahren gibt es in deren Familien noch eine Menge an gemeinsamen
Medien- und Freizeitaktivitäten: gemeinsam Fernsehen, gemeinsam
Musik hören, gemeinsam Konzerte besuchen oder ins Kino gehen.
Es wird in den Familien viel über Medien geredet, gestritten
und gelacht. Beim Reden über Medien werden unterschiedliche
Vorstellungen und Ansichten ausgetauscht und vermittelt. Mit 15/16
Jahren nimmt der gemeinsame Medienumgang ab. Die Jugendlichen sowie
die Eltern machen jeweils zunehmend mehr für sich alleine.
Beide Generationen lassen voneinander los, werden selbstständiger
und grenzen sich über ihre unterschiedlichen Medien- und Geschmacksvorlieben
voneinander ab. Die Beschäftigung mit Medien wird für
Eltern und Jugendliche gleichermaßen zu einer "Zeit für
sich" sowie zu einer "persönlichen Angelegenheit". Der Medienumgang
in den Familien beginnt mit dem Gemeinsamen und mündet im Individuellen.
Im Gegensatz zu ihren eigenen Erfahrungen aus ihren Herkunftsfamilien,
in denen Fernsehen und Radio eher tabuisiert und problembeladen
waren, sehen die Eltern in den Medien für ihre Kinder insgesamt
mehr entwicklungsfördernde Aspekte als schädliche Wirkungen:
Die Töchter und Söhne sollen in Sachen Medien mitreden
können; die Medien würden das (Allgemein-)Wissen der Töchter
und Söhne erweitern, die Geschmacksbildung fördern und
sie dabei unterstützen, ihre eigene Meinung zu bilden und zu
äußern. Die Eltern sind keine Gegner der Medienkultur
ihrer Kinder, sondern eher Förderer und kritische Begleiter.
Am Schluss der Untersuchung meinten viele Mütter und einige
Väter, dass sie sich wegen des Medienumgangs und der Medienvorlieben
ihrer Kinder zu viel unnötige Sorgen gemacht hätten. Die
Eltern sind aber auch das unmittelbare Vorbild im Umgang mit Medien.
Wie Eltern mit Filmen, Serien, Musik und Büchern umgehen, das
schauen sich die Töchter und Söhne von ihnen ab. Im Lauf
der Jahre entsteht dabei ein familienspezifisches kulturelles Erbe,
das von den Jugendlichen dann ab dem 14./15. Lebensjahr stark in
Frage gestellt wird, indem der häuslichen Kultur die eigenen
Vorlieben und Interessen entgegengesetzt werden. Doch trotz dieser
Rebellion und Abgrenzung bleibt ein Teil dieses kulturellen Erbes
erhalten. Die Jugendlichen, die mit 19/20 Jahren bereits berufstätig
sind und mit ihren Partnern in einer eigenen Wohnung zusammen leben
(vorwiegend Jugendliche mit Hauptschulabschluss), sehen abends wieder
("wie früher!) lange zusammen fern. Dabei pflegen sie dieselben
Vorlieben und Gewohnheiten, die sie aus ihrer jeweiligen Familie
her kennen und als Kind tagtäglich erlebt haben. Die häuslichen
Medien-Erfahrungen wirken bei ihnen nach, und die Eltern sitzen
bei den jungen Paaren heimlich mit.
Insgesamt gesehen ist Adoleszenz
somit ein Prozess der Veränderung, den beide Generationen gestalten
müssen - Eltern und Jugendliche. Die Eltern sind hier als Förderer,
Kritiker und verlässliche Begleiter unverzichtbar.
4.
Der Blick zurück nach vorn - Wie sehen die Eltern und ihre
Kinder diese Zeit und die Rolle der Medien?
"Wir haben uns wegen
der Medien zu viele Sorgen gemacht."
Bei ihrem Rückblick
auf die Adoleszenz ihrer Töchter und Söhne (diese sind
19/20 Jahre alt) erwähnen die Eltern weder ausdrücklich
die Medien noch deren Medienvorlieben und Medienverhalten. Auch
die Eltern schätzen die Medien als zweitrangig ein und sie
"wundern sich", dass sie sich wegen der Medien insgesamt "überflüssige
Sorgen" und "zu viele Gedanken" gemacht hätten: "Ich habe es
ja jetzt auch gesehen, was aus ihm geworden ist, und ich kann mich
nicht beklagen. Irgendwo war die Angst dann weg. Da habe ich mir
auch zu viel Gedanken gemacht. Irgendwie schon" (41-jährige
Mutter eines 19-jährigen Abiturienten).
Die Mediensorgen der Eltern
lassen im Verlauf der Adoleszenz nach. Dabei stellen sie immer wieder
die Frage, ob es sich ohne Fernseher auch leben lässt "Die
letzten zwei Jahre haben einen ganz entscheidenden Einschnitt gebracht,
und zwar haben wir einfach gemerkt, dass wir zu viel fernsehen.
Was mich genervt hat, war, wenn ich abends heimkam und die Kinder
die Vorabendserien angeschaut haben, wo für mich eigentlich
ziemlich klar ist, dass am Vorabend immer Schrott kommt. Das ist
jetzt ein bisschen überheblich den Kindern gegenüber,
aber ich sag' es einfach mal so. Dann haben wir irgendwann mal beschlossen,
vier Wochen lang überhaupt nicht mehr fernzusehen. Überhaupt
nicht mehr. Und dann ist etwas ganz Interessantes passiert, nämlich
der, von dem (einer von drei Söhnen) ich jetzt im Bewusstsein
habe, dass er ‚der größte Fernseher‘ ist, der hat gesagt:
‚na, ich habe es ja noch nie richtig gebraucht‘. Das war ganz interessant"
(47-jähriger Vater eines 15-jährigen Gymnasiasten). In
einer Familie stand der Fernseher Jahre lang im Keller, so dass
die Tochter im Laufe ihrer Adoleszenz zu Hause kein Fernsehen hatte.
Sie aber ging immer wieder zu ihrer Freundin und schaute dort mit
ihr zusammen fern (Filme, Tennis, Fußball). Ihre Mutter beschreibt
den Vor- und Nachteil dieses "geteilten Zustandes" folgendermaßen:
"Wir haben immer noch keinen Fernseher. Und es geht uns einfach
hervorragend damit, muss ich sagen. Wir haben vor kurzem meinen
Vater zu Besuch hier gehabt, und er hat Angst gehabt vor der Langeweile
ohne Fernseher. Er hat gesagt, ´Ihr habt keinen Fernseher, das muss
sehr langweilig sein´. Er wollte nicht kommen. Aber mein Mann hat
seine Langeweile einfach toll geregelt. ... Ich vermisse das nicht,
das Fernsehen. Aber wenn ich dann wieder höre, dass da bestimmte
Programme und bestimmte Sendungen sind, dann vermisst man es schon.
Da gibt es schon gute Sachen, muss man sagen, aber man muss das
richtig dosieren. Und dann glaube ich, wir sind immer noch nicht
so weit, dass wir einen Fernseher wieder vertragen könnten.
Meine Tochter muss jetzt viel für die Schule lernen. Ich bin
sicher, dass man in jedem Programm etwas Interessantes findet. Und
dann setzt man sich vor den Fernseher und beobachtet viele Sachen,
die eigentlich interessant sind, aber nicht so wichtig im Leben"
(50-jährige Mutter einer 15-jährigen Gymnasiastin). Allgemeine
Erfahrung der von uns befragten Familien war es jedoch, dass ein
eigener Fernseher im Zimmer der Töchter und Söhne die
Medien-Konflikte in der Familie verringert: "Sie hat ja jetzt auch
einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher drüben stehen. Es
ist auf jeden Fall zwischen uns jetzt lockerer. Gut, ich verbiete
ihr, dass sie in mein Zimmer (mit dem Farbfernseher) geht, was sie
trotzdem heimlich tut, aber sie kann ja in ihrem Zimmer schauen,
was sie will. ... Durch den eigenen Fernseher bleiben die Konflikte
ja gezwungenermaßen aus; es sei denn, sie hat das Zeug zu
laut da drin. Das stört mich dann schon" (38-jährige Mutter
einer 15-jährigen Hauptschülerin). "Meinungsverschiedenheiten
wegen dem Fernsehen - eigentlich jetzt weniger, weil wir drei Fernseher
haben" (44-jährige Mutter eines 16-jährigen Gymnasiasten).
In ihrem Rückblick betonen die Eltern aber auch, dass die Töchter
und Söhne mit der Zunahme an persönlicher Selbstständigkeit
auch mehr Verantwortung für ihr Medienverhalten übernommen
hätten. Sie seien oftmals überrascht, wie ihre Kinder
"gut" mit den Medien umgegangen seien.
Die Bedeutung der Medien in der Adoleszenz
aus der Sicht der Eltern
Für das Alter von 13/14
Jahren sehen die Eltern bei ihren Töchtern und Söhnen
vor allem die entwicklungsfördernden Aspekte der Medien. Im
Alter mit 15/16 Jahren sind die Jugendlichen dann insgesamt erhöhten
schulischen Anforderungen ausgesetzt. Diese haben bei den Eltern
Vorrang vor den Medien, wobei die Eltern die Medien jetzt kritischer
einschätzen und verstärkt auch Bedenken gegenüber
den Medien äußern. In dieser Zeit kommt es häufiger
zu Konflikten wegen der Medien (Viel-Sehen, Fernsehen statt Lernen).
Im Alter von 19/20 Jahren haben die Eltern bei ihren Töchtern
und Söhnen in Sachen Medien keine Bedenken mehr. Sie betonen
deren Selbstständigkeit und wissen auch nicht mehr viel über
den Umgang ihrer Töchter und Söhne mit Medien.
Der Rückblick der befragten Jugendlichen
"Nach der Lektüre
von ´Friedhof der Kuscheltiere´ habe ich tagelang unseren Kater
misstrauisch beobachtet."
Jan Philipp Reemtsma: Gott der Verirrten
In ihrem Rückblick
auf die Zeit der Adoleszenz betonen die Jugendlichen bzw. jungen
Erwachsenen mit 19/20 Jahren, dass die Medien für die entscheidenden
Veränderungen in der Adoleszenz keine Rolle spielten, ebensowenig
für die Entwicklung der Persönlichkeit: "Ich glaube, insgesamt
haben mich nie Medien direkt beeinflusst. Ich habe nie gesagt, auf
Grund dessen werde ich mein Leben verändern" (20-jähriger
Fachoberschüler).
In ihrem Rückblick
ist vor allem die Erkenntnis wichtig, dass sie "für sich" immer
mehr Selbstständigkeit erreichten: "Ich tue jetzt, was mir
gefällt, ich höre, was mir gefällt, ich schaue mir
an, was mir gefällt, ich trage, was mir gefällt. Und natürlich
freue ich mich, wenn jemand sagt: ´Gut siehst du heute aus´. Das
allein ist wichtig" (19-jährige Abiturientin).
Dieses Ergebnis schmälert
jedoch nicht die Tatsache, dass die Medien in der Zeit der Adoleszenz
wichtige und zeitbeanspruchende "Begleiter" der Jugendlichen waren.
Medienerlebnisse haben bei ihnen Eindrücke hinterlassen, wichtige
Einsichten und Erkenntnisse vermittelt sowie das Bewusstsein erweitert
(vgl. dazu Kapitel 3. "Die Suche nach Themen in den Medien"). Offenbar
gibt es bei den 19/20-Jährigen eine erworbene Routine im Umgang
mit den Medien, so dass diese Effekte der Medien von ihnen nicht
mehr eigens erwähnt werden. Die von uns befragten Jugendlichen
bzw. jungen Erwachsenen verwenden mehr Zeit und Aufmerksamkeit für
die verschiedenen Medien, wenn sie allein sind, als wenn sie in
Gleichaltrigen-Gruppen oder mit ihren Partnern zusammen sind. Dabei
ist das Musikhören eher eine "Suche nach Formen des
Ausdrucks von Gefühlen und Stimmungen", während das
Fernsehen und Anschauen von Videos vor allem eine "Suche
nach Themen" ist. Das Lesen wiederum dient der "Suche
nach orientierender Information", während beim Computern
"aus Spiel und Spaß Ernst wird". Mit solchen Schlagworten
lassen sich grob die Medientätigkeiten der von uns befragten
Jugendlichen/jungen Erwachsenen kennzeichnen. Welche Bedeutung sprechen
sie aber selbst den Medien zu?
"Mehr Zeit für ..." - Was wünschen
sich die Jugendlichen?
Auf der Wunschliste "Für
was wünschst Du Dir mehr Zeit?" stehen bei den von uns befragten
Jugendlichen/jungen Erwachsenen keine Medientätigkeiten: Weder
im Alter von 13/14, von 15/16 noch von 19/20 Jahren werden von ihnen
solche gewünscht. An erster Stelle der Wunschlisten steht dagegen
das Ausgehen und Sich-Treffen mit Freunden und Freundinnen.
Dieser Wunsch nimmt in der Zeit der Adoleszenz bei ihnen stetig
zu, als könnten sie dafür nicht genug Zeit bekommen: "Zusammen
weggehen, nur noch weggehen, den ganzen Tag, die ganze Nacht" -
diese Aussage wird zum Standardsatz ab 15/16 Jahren. Gleichrangig
damit steht ferner der Wunsch "Mehr machen können, was ich
gerne will". Ab 15/16 Jahren äußern sie vermehrt
das Gefühl, dass sie aufgrund der Pflichten in Schule und Ausbildung
zu wenig Spielraum für sich selbst besitzen. Das Ende der schulischen
Pflichten und Anforderungen wird von ihnen zwar als erleichternd
empfunden, andererseits erfahren sie auch, dass Beruf, Job und Studium
ebenfalls beschwerlich sein können. Mit 15/16 Jahren nimmt
in ihrem Alltag die "verplante Zeit" zu. Einem Teil der Jugendlichen
macht es dadurch zunehmend mehr Schwierigkeiten, eine befriedigende
Balance zwischen einem verplanten Alltag sowie ihren Wünschen
nach "mehr Zeit für sich" zu finden. Zudem überfordern
sie sich oft selbst mit der Verwirklichung ihrer Interessen. Die
Wünsche nach mehr Zeit beziehen sich nicht auf die Medien,
sondern auf "mehr Ruhe" und auf "weniger Kommunikation".
Für einen großen Teil der von uns befragten Jugendlichen
ist es zunehmend wichtig, "mehr Zeit für sich alleine"
sowie "mehr Zeit zum Ausruhen, Faulenzen und Schlafen" zu
haben. Diese Wünsche werden vor allem von den jungen Erwachsenen
geäußert, die schon seit längerer Zeit in festen
Paarbeziehungen leben sowie berufstätig sind oder neben dem
Studium jobben: "Ausschlafen, die Zeit nehme ich mir, wenn ich mir
sie nehmen kann. Einfach mal den Tag nichts tun - das kann ich nicht
mehr. Bei mir sind die Tage mittlerweile wirklich durchgeplant vom
Aufstehen bis zum Schlafen. Dann mache ich das und das. Ich komme
dann manchmal ins Schludern und überschlage mich irgendwie.
Ich hätte gern die Zeit, dass ich sage: Ich bleibe zu Hause
und schaue fern und habe kein schlechtes Gewissen dabei. Das
geht fast gar nicht mehr, weil ich mir dann denke, den (Freund)
habe ich schon lange nicht mehr gesehen, und der wird dann böse,
oder das und das musst du noch machen" (20-jährige Studentin,
die nebenher noch jobbt). "Eigentlich habe ich genug Zeit, für
alles, was ich so mache. Jetzt fällt mir doch etwas ein: Mehr
schlafen! Da kommt das Schlafen doch manchmal zu kurz. Voller Alltag!"
(20-jähriger Fachoberschüler). In einem Alltag, in dem
sowohl über Beruf, Schule und Medien eine Vielfalt und Menge
an Kommunikation stattfindet, scheint der Wunsch nach "Abwesenheit
von Kommunikation" auch bei den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen
immer größer zu werden: "Ich habe halt fast jeden Tag
so ein Programm, dass ich mir denke, da muss ich das machen, da
muss ich das machen. Und einfach mal nach Hause zu kommen und zu
wissen, jetzt muss ich gar nichts machen; jetzt schaue ich einfach
mal und lasse es erst mal ruhig angehen" (19-jähriger Abiturient).
"Und wenn ich mal Zeit hab', dann kam kein gescheiter Film im Fernsehen"
(19-jährige Studentin, die nebenher noch jobbt).
Wie halten es die Jugendlichen mit
dem Status des "Medien-Experten"?
Im Alter von 13/14 Jahren
war es den von uns befragten Jugendlichen wichtig, sich "in Sachen
Medien" gut auszukennen. Vor allem in den Gleichaltrigen-Gruppen
herrschte der allgemeine Anspruch vor, Bescheid zu wissen, bei allem
mitreden zu können, "in" zu sein und bloß nicht als "Null-Checker"
zu gelten. Gruppen-Standard war, auf einem Gebiet als "Medien-Experte"
bzw. "Medien-Expertin" zu gelten. Ferner wollte man auch den Eltern
zeigen, dass man sich in den Medien auskennt und sich hör-
und sehbar von ihrem Geschmack unterscheidet. Mit 15/16 Jahren schlägt
diese Haltung jedoch um: Nur noch zwei Fünftel (jeweils Mädchen
und Jungen gleich) finden es wichtig, sich in den Medien auszukennen.
Einige Jugendliche halten das Medienwissen als Gesprächsinhalt
in den Gleichaltrigen-Gruppen für problematisch, denn das Bescheid-Wissen-Müssen
kann auch zum Gruppenzwang werden, und sie legen Wert darauf, dass
sie bei der Auswahl der Medien zunehmend nach ihrem eigenen Geschmack
entscheiden und nicht mehr auf die anderen hören möchten:
"Ich bin niemand, der nach den Charts geht und das kauft, was jetzt
auf Platz eins ist" (16-jähriger Gymnasiast). "Ich weiß
nicht, ob man sich in Rockgruppen auskennen muss. Zwar denken alle,
wenn du nicht weißt, was ´ACDC´ ist, wer da in der Gruppe
ist, dass du dann saudumm bist, aber mir ist das egal. Also ich
kenn´ mich aus in Computer, das ist mein Fachgebiet" (16-jähriger
Hauptschüler). Mit 19/20 Jahren lassen die Ansprüche in
Sachen Medien insgesamt nach. Die jungen Erwachsenen müssen
in Sachen Medien nicht mehr auf dem Laufenden sein. Die Medien sind
ihnen jetzt eher "gleichgültig".
"Mein Insel-Medium" - Was würdest
Du gerne mit auf die Insel nehmen?
Mit der zunehmenden Selbstständigkeit
geht bei den von uns befragten Jugendlichen/jungen Erwachsenen auch
eine zunehmende Distanzierung gegenüber Medien einher.
Dies zeigte sich auch in den Angaben zum "Insel-Medium": "Wenn Du
jetzt alleine auf eine Insel gehen müsstest und Du könntest
nur ein Medium mitnehmen, welches würdest Du auswählen?".
Mit den Antworten zu dieser Frage lässt sich die jeweilige
Bedeutung der Medien zuspitzen.
Das bevorzugte Insel-Medium
der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ist die Musik. Dieses
Ergebnis unterstreicht die Bedeutung der Musik insgesamt und bestätigt
die Bedeutung des Hörens von Musik als die wichtige
Medientätigkeit der Adoleszenz.
Im Alter von 13/14 Jahren
ist das Insel-Medium der Mädchen und Jungen eindeutig die jeweilige
Lieblingsmusik. Die Musikmedien stehen zum einen für Beweglichkeit,
denn die Geräte kann man leicht auf eine Reise mitnehmen (Radio,
Walkman, Discman). Zum anderen verstärkt Musik die (guten)
Stimmungen, denn die "Insel" steht für Ferien, neue Erfahrungen,
gute Zeiten sowie für Sehnsucht. In der Fremde (Insel) brauchen
die Jugendlichen etwas von sich. Die Lieblingsmusik steht für
das Eigene, für die eigene Person, für die Individualität.
Die befragten Jugendlichen assoziieren mit "Insel" ferner jene Situation,
in der die Welt der Gefühle eine große Rolle spielt.
Insel steht für die "innere Welt". Musik als Medium und Sprache
der Gefühle verbindet sich mit diesem Insel-Gefühl. Eine
"Insel" assoziiert ferner das eigene Zimmer zu Hause, in dem sie
"ihre Musik" hören.
Mit 15/16 Jahren setzt sich
die Vorliebe für die Musik als Insel-Medium fort. Mit 19/20
Jahren bevorzugen nur noch einige der Mädchen/jungen Frauen
die Musik als Insel-Medium: "Musik tut halt gut, wenn es einem langweilig
wird."
LITERATUR |
- Barthelmes, Jürgen; Sander,
Ekkehard: Erst die Freunde, dann die Medien. Medien als Begleiter
in Pubertät und Adoleszenz. Medienerfahrungen von Jugendlichen.
Band 2. Opladen: Leske & Budrich 2001.
- Barthelmes, Jürgen; Sander,
Ekkehard: Medien als Begleiter und Spiegel. Längsschnittstudie
zu Medienerfahrungen von Jugendlichen. In: DJI Bulletin, -/2000/51/52,
S.18-22.
- Barthelmes, Jürgen; Sander,
Ekkehard: Medien in Familie und Peer-Group. Vom Nutzen der Medien
für 13- und 14-Jährige. Medienerfahrungen von Jugendlichen.
Band 1. München: DJI 1999 (2. Aufl.)
DER AUTOR |
Ekkehard Sander, Dr. phil., ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Deuschen Jugendinstitut (DJI), München.
INFORMATIONEN |
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
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