Ausgabe: 13/2000/2 - TEXTAUSZUG:
![]() "Schloss Einstein": Ein Interview mit Dieter Saldecki Was
waren die Grundüberlegungen, die zur Entwicklung der ersten Kinderweekly
im deutschen Fernsehen führten? Der Ausgangspunkt der Überlegungen in der
ARD war, dass sich der ältere Teil unseres Publikums, die 10- bis
13-Jährigen, stark den Soaps zuwandten. Deshalb haben wir uns gefragt,
ob es nicht sinnvoll wäre, auch im Kinderfernsehen Geschichten
in dieser modernen Industrieform der Soap Opera zu erzählen. Welche
strategischen Ziele sollten mit der Entwicklung von "Schloss Einstein"
erreicht werden? Wie gesagt: Wir wollten die Gruppe der älteren
Kinder, die für das öffentlich-rechtliche Kinderprogramm verloren
gegangen schien, durch die Entwicklung dieser neuen Sendeform zurückholen,
sie wieder an die ARD und letztlich an das öffentlich-rechtliche
Fernsehsystem binden. Welche
Rolle spielt der Kinderkanal? Ganz einfach: Die ARD hätte vorher überhaupt
kein Geld dafür gehabt. Eine solche Weekly konnte nur mit den zusätzlichen
Mitteln der ARD für den Kinderkanal produziert werden. Es ging
immerhin um eine Größenordnung von 12 Millionen für
die ersten 52 Folgen. Wie
versuchen Sie, "Schloss Einstein" für Kinder unterschiedlichen Alters
und Geschlechts attraktiv zu machen? Einer der wesentlichen Akzente für den Erfolg
war, glaube ich, die Entscheidung, einen A-, einen B- und einen C-Strang
für "Schloss Einstein" zu entwickeln. Das ist bei Soaps nichts
Besonderes, wenn die Stränge aber "A" wie Abenteuer, "B" wie Beziehung
und "C" wie Comedy heißen, dann ist und war das neu. Gibt
es einen formulierbaren Anspruch, der hinter "Schloss Einstein" steht? Der Anspruch ist während der Arbeit gewachsen.
Wir hatten anfangs keine Ahnung von der Soap-Welt. In der Beschäftigung
damit haben wir schließlich eine interessante Entdeckung gemacht:
Uns wurde klar, dass sowohl Erwachsene als auch Kinder soziale Messages
aus Soaps ziehen, d.h. diese Welt bietet Verhaltensmuster. In einer
Gesellschaft, die immer orientierungsloser wird, gibt plötzlich
die Soap-Welt Orientierung. Damit bekommt "Schloss Einstein" als Alternative
zu den vorhandenen Erwachsenen-Soaps eine ganz besondere Bedeutung. Geschichten
aus der "Lebenswelt der Kinder" was verstehen Sie darunter? Letztlich ist alles Shakespeare nur die Ausführung
muss man variieren und am Leben von heutigen Kindern orientieren. Die
Art, wie man heute tanzt, ist eine andere als früher, aber das
Leiden, das Subjekt des Interesses am Abend nicht zu kriegen, ist sicher
noch immer das Gleiche. In "Schloss Einstein" kommt alles vor, was im
Alltag von Kindern eine Rolle spielt: Schule, Freizeit, Sport, Angst,
Einsamkeit, Lust, Schrecken, Liebe, Tod, Adoption usw. Was
ist der entscheidende Unterschied zwischen "Schloss Einstein" und anderen
Soaps? Ich kenne die anderen Soaps nicht gut genug.
Ich glaube aber, dass der Unterschied zwischen "Schloss Einstein" und
dem Soap-Bereich erstens in den drei Strängen liegt, zweitens in
der Altersstruktur der mitspielenden Kinder, die per se eine andere
Erzähl- und Spielweise nach sich zieht. Drittens, dass wir bei
der Entwicklung der Geschichten und der einzelnen Szenen sehr genau
auf das Niveau achten. Unter ein bestimmtes Erzählniveau wollen
und werden wir uns bei "Schloss Einstein" hoffentlich nicht bewegen.
Wenn ich z.B. die grünen Männchen bei "Unter Uns" sehe, dann
ist das eine Ebene, da müssen wir wirklich nicht hin. Das gilt
auch für Päderastengeschichten u.ä. Viertens legen wir
in "Schloss Einstein" Wert darauf, dass die beteiligten Charaktere nachvollziehbare
Gründe haben, sich so oder so zu verhalten. Das heißt, dass
man die Gedanken und Gefühle der Charaktere jederzeit nachvollziehen
kann. Und fünftens, dass bei "Schloss Einstein" für jede Figur
eine eigene Sprachstruktur entwickelt wird. Würden
Sie sagen, dass "Schloss Einstein" einen pädagogischen Anspruch hat? Ich mag das Wort Pädagogik nicht Didaktik
ist mir schon lieber. Nein, wir haben bei "Schloss Einstein" nicht die
Absicht, Menschen dazu zu bekehren, sich so oder so zu verhalten. In
"Schloss Einstein" erzählen wir von einer Welt für Kinder,
die möglicherweise Orientierungspunkte in ihrem Leben bietet. Wir
zeigen Konflikte, vor allem Konfliktlösungsmuster, und versuchen
dabei, die meisten Auseinandersetzungen kreativ und spannend aufzulösen,
d.h., wir schaffen soziale Muster und gleichzeitig Unterhaltungswert.
Übrigens: In "Schloss Einstein" gewinnen immer die Kinder. Wie
schlägt sich das in den Geschichten nieder? Also: Olivers Eltern lassen sich scheiden und
fragen Oliver, ob er lieber bei Mama oder Papa leben möchte. Oliver
sagt darauf: "Ich habe mich entschieden, ich ziehe ins Internat." Kurzum:
In "Schloss Einstein" entscheiden nicht die Erwachsenen über die
Kinder, sondern die Kinder entscheiden selbst; sie sind die Entscheidungsträger
und lassen sich nicht von Eltern oder Lehrern in sozialen, menschlichen,
familiären Problemsituationen zur Manövriermasse machen. Im
wirklichen Leben ist das natürlich häufig anders, das weiß
ich selbst. Im wirklichen Leben bekommt man an vielen Stellen Ohrfeigen
für Sachen, die man in "Schloss Einstein" erfolgreich machen und
sagen darf. Natürlich gibts auch in "Schloss Einstein" Ohrfeigen,
aber die Erwachsenen verlieren dann am Schluss immer das wissen auch
die zuschauenden Kinder. "Schloss Einstein", das sind Träume, genauer:
konkrete Utopien, ohne die keiner von uns leben kann. Es
gibt in "Schloss Einstein" immer wieder kleine "Erklärstücke",
wo im Dialog etwas erklärt wird, was in der Geschichte eine Rolle
spielt... Das sind sicherlich Akzente, die "Schloss Einstein"
der "Sendung mit der Maus" verdankt, insbesondere die Figur Tom Kühne
Tom Lexikon, Zwerg Allwissend wurde bewusst erfunden, um Lexikonwissen
in "Schloss Einstein" unterzubringen, meist übrigens im Comedy-Strang.
Dasselbe gilt für die Laborwelt von Alexandra. Genaue Recherche
ist ein Prinzip von "Schloss Einstein" übrigens etwas, was mir
bei anderen Soaps nicht üblich zu sein scheint. Die
ARD dreht derzeit eine zweite Weekly für Kinder. Inwiefern gehen
Erfahrungen aus "Schloss Einstein" in die Entwicklung dieses Formats ein? Dass es eine zweite
Weekly geben soll, ist auf der Basis des Erfolgs von "Schloss Einstein"
1999 in der ARD entschieden worden. Eine Weekly für den Kinderkanal
und eine zweite mit Premiere in der ARD ("fabrixx", SWR Anm. d. Red.;
s.a. Beitrag v. D. Bansberg), das macht aus meiner Sicht Sinn. Wenn
beide dann im Verbund in ARD und Kinderkanal ausgestrahlt werden, können
wir sicher sein, dass wir unser "älteres" Publikum (die 10- bis
15-Jährigen) noch stärker zurückgewinnen. Soll
mit dieser zweiten Weekly die gleiche Zielgruppe angesprochen werden wie
mit "Schloss Einstein"? Das Zielpublikum ist sicher altersmäßig
ähnlich, der Ansatz ein anderer. Hintergrund der neuen Geschichten
ist ein Jugendzentrum in einem großstädtischen Umfeld. Ich
finde es durchaus sinnvoll, dass Ort und soziale Struktur der zweiten
ARD-Weekly sich deutlich von "Schloss Einstein" unterscheiden. Ich
habe den Eindruck, dass bei "Schloss Einstein" mit Gefühlen sehr
zurückhaltend umgegangen wird, dass eine gewisse emotionale Kälte
herrscht... Also ich glaube nicht, dass Kinder in diesem
Alter so schmonzettenmäßig aufeinanderliegen, wie wir die
Protagonisten in den Soaps oft erleben. Ich glaube, dass Kinder heute
viel klüger, vernünftiger, spannender reagieren, als sich
das viele Erwachsene, vor allem Soap-Autoren, vorstellen. Ich selbst
habe etwas gegen diese Operetten-Dramaturgien und -Verhaltensweisen.
Wenn ich lese, wie in den ersten Entwürfen der Drehbücher
auch bei "Schloss Einstein" geseufzt und gestöhnt wird, dann
gruselt es mich. Wir versuchen dann erst einmal, alles Seufzen und Stöhnen
zu entfernen, weil wir nicht glauben, dass Kinder in diesem Alter ununterbrochen
seufzen und stöhnen und es auch nicht sonderlich komisch finden,
wenn Figuren ihrer Altersgruppe immer wieder seufzen und stöhnen.
Es ist etwas anderes, wenn die "blöden Erwachsenen" aufeinanderliegen
und von einem Zimmer zum anderen torkeln, sich schnell mal wieder ausziehen,
aufeinanderliegen, Bettdecke drauf, ächzen, seufzen und stöhnen.
Kinder wollen ernster genommen werden. Deshalb glaube ich, dass wir
nicht so ganz falsch liegen, wenn die Kinder nicht stöhnen, seufzen
und aufeinanderliegen, sondern mit ihren Gefühlen anders umgehen. In
der Geschichte um das erste Mal von Nadine und Oliver sind nicht Zuneigung
und die Möglichkeit, ungestört zu sein, ausschlaggebend, ob
die beiden miteinander schlafen oder nicht. Die beiden verteilen rote
und grüne Kondome auf dem Fußboden und drehen eine Flasche.
Damit überlassen sie die Entscheidung über ihr erstes Mal also
dem Zufall. Ist das nicht auch im wirklichen Leben so? Im
Ernst: Man muss ganz klar sehen, dass wir verschiedene Altersgruppen
haben, mit denen wir verantwortlich umgehen müssen. Das heißt,
wir müssen immer wieder einen ganz besonderen Weg finden, schwierige
Themen anzusprechen. Das Thema Kondome und miteinander schlafen ist
in vielen Familien noch ein Tabuthema deshalb müssen wir es so
darstellen, dass es weder in "schwachsinnige Pornographie" noch ins
Verklemmte abrutscht. Wir wissen, dass Kinder in einem bestimmten Alter,
wenn es um das erste Mal geht, eine ungeheure Spannung haben, eine Spannung
zwischen "tu ichs" oder "tu ichs nicht". Genau das erzählt Rot
und Grün. Und in sofern ist das eine Geschichte, die sehr genau
die Gefühle der Kinder trifft. Die Entscheidung im richtigen Leben
müssen die Kinder eh ganz allein treffen. Ich glaube, dass im Fernsehen
viel zu wenig vom Lachen vor, während und nach dem Beischlaf erzählt
wird meist ist das nur schrecklich dramatisch. Gibt
es Vorbilder für "Schloss Einstein" in anderen Medien oder im internationalen
Fernsehen? Im Format gibt es, glaube ich, keine Vorbilder
in Europa. Die Amerikaner haben diese typischen Highschool-Serien
die sind aber auch wieder anders. Sie haben andere Spielmuster, die
auf die Welt der Highschool und ganz bestimmte amerikanische Verhaltensweisen
begrenzt sind. Sicher gibt es Einflüsse, aber ich würde sie
nie konkret benennen können. Welchen
Einfluss hatte die Jugendliteratur, zum Beispiel "Hanni und Nanni"? "Hanni und Nanni" habe ich interessanterweise
nie gelesen, obwohl die Freundin meines Sohnes bei den ersten Folgen
von "Schloss Einstein" gesagt hat: "Das ist ja wie Hanni und Nanni."
Aber ich habe sehr viele andere Mädchenromane gelesen und glaube,
auch heute noch behaupten zu können, dass die größten
Teile meiner Moral wenn ich denn eine habe aus Büchern des
Franz Schneider Verlags kommen. Diese Bücher hatten immer eine
wundervoll einfache Schwarz-Weiß-Dramaturgie, und ich habe sie
mit Faszination gelesen. Eine gute Geschichte, die nicht nur albern
auf Kinder runtergeschrieben ist, lese ich ab und zu auch heute noch
gerne. Natürlich vermeide ich, dass Ideen daraus eins zu eins in
die Entwicklung der Geschichten von "Schloss Einstein" einfließen
aber ich will mich nicht selbst belügen: natürlich hat man
solche Akzente im Hinterkopf, natürlich spielen sie eine Rolle. Wie
läuft der Prozess der Charaktergebung bei "Schloss Einstein" ab? Viel weniger marktanalytisch,
als sich das viele vielleicht vorstellen. Erstens: Ein talentiertes
Kind ist da und wir überlegen, was wir mit ihm machen, welche Wirkung
wir mit ihm erzielen können. Zweitens, der umgekehrte Weg: Wir
haben eine bestimmte Vorstellung von einer Rolle und suchen dann ein
Kind dafür - um dann oft festzustellen, dass das Kind nicht so
ganz identisch ist mit der Rolle; dann müssen wir die Rolle wieder
an das Kind anpassen. Werden
bei der Entwicklung und Umsetzung der Geschichten Modetrends, Musiktrends
etc. berücksichtigt, oder versucht man, das eher zu vermeiden? Wir versuchen, das eher zu vermeiden, weil wir
wiederholbar sein wollen. Derzeit sieht es so aus, als ob "Schloss Einstein"
eine Wiederholungsfähigkeit hat. Es ist gerade zum sechsten Mal
erfolgreich ausgestrahlt worden. Repertoirefähiges Programm zu
produzieren bedeutet aber auch, dass man darauf achten muss, dass es
in drei bis vier Jahren immer noch "aktuell" ist. Das heißt, man
kann nicht mit Trends mitgehen, sondern nur grundsätzliche Zeitgeist-Elemente
aufnehmen. Nur insofern spielt die Musikszene und auch Mode eine Rolle. Wie
funktioniert der Prozess der Ideenfindung und Buchentwicklung? Wir haben freie Autoren, die ihre Ideen anbieten.
Dazu kommen die Ideen der Redaktion und der Dramaturgie. Inzwischen
gibt es einen Themenkatalog bei "Schloss Einstein". Christa Streiber
vom MDR und ich wählen dann die Stränge aus. Kommen
die Autoren, die für "Schloss Einstein" arbeiten, überwiegend
aus dem Soap-Bereich? Ja, aber wir haben inzwischen einen neuen Autorenstamm
aufgebaut, der stärker vom Kinderprogramm geprägt ist und
der dann die Technik der Soap gelernt hat. Anfangs hatten wir fast ausschließlich
Soap-Autoren, denen wir mühsam versucht haben, beizubringen, was
wir unter spannendem, öffentlich-rechtlichem Kinderprogramm verstehen.
Diesen Versuch würde ich bis auf Einzelfälle als gescheitert
ansehen. Was
zeichnet einen guten Autor aus? Die Autoren benötigen eine große Portion
Phantasie, eine große Portion Logik (Recherche!!!). Sie müssen
in der Lage sein, Kinderinteressen zu vertreten, die Linie von "Schloss
Einstein" kennen, annehmen und akzeptieren; und sie müssen für
jede Szene einen spannenden Handlungseinfall, besser noch: einen szenischen,
optischen Einfall haben. Es
wird in "Schloss Einstein" also mehr Wert auf Handlung gelegt als bei
den üblichen Soaps ist das nicht auch ein Unterschied zwischen
Weekly und Daily? Das ist sicher ein Unterschied zwischen Weekly
und Daily, aber es ist natürlich auch ein Unterschied, der aus
der Tradition der Kinderprogramme und den Erzählformen, die wir
dort entwickelt haben, herrührt. Nochmals
zur Buchentwicklung: Wie entstehen aus den Outlines dann die Drehbücher? Die Bücher werden in der Regel von anderen
Autoren geschrieben als die Outlines. Die vier Bücher eines Blocks
werden meist auf vier verschiedene Autoren aufgeteilt. Das hat zum Teil
schreckliche Nachteile, denn viele Autoren leben nicht in den Figuren
wie die Mitarbeiter der Redaktion. Ich leide wie 26 Dackel, wenn eine
Figur, die lange Zeit in einer bestimmten Sprache und einem bestimmten
Charakter mit diesen und jenen Macken geführt wird, nun plötzlich
ganz anders daher kommt, weil der Autor der zwischendurch an anderen
Soaps schreibend unterwegs ist überhaupt kein Gefühl dafür
hatte, wer das überhaupt ist. Wer
gleicht die Bücher, die von verschiedenen Autoren geschrieben werden,
einander an? Die Dramaturgie in Zusammenarbeit mit der Redaktion.
Die Redaktion ist von der ersten bis zur letzten Sekunde an der Entwicklung
der Bücher beteiligt. "Schloss Einstein" ist ein ganz stark redaktionell
geprägtes Programm und wird es hoffentlich auch bleiben. Uns geht
es darum, das Format so zu entwickeln, dass sich die großen Erzählqualitäten
der Kinderprogrammwelten der ARD und des DDR-Fernsehens darin wiederfinden.
Mit Christa Streiber und mir kommen Ost und West, kommen zwei große
Fernseherzähltraditionen in "Schloss Einstein" zusammen. Gibt
es bei "Schloss Einstein" auch eine langfristige Planung der Geschichten,
gibt es Futures oder Majors, wie man bei den Dailies sagt? Ja. Wir planen konkret vier Blöcke (16 Folgen)
voraus, allerdings nach dem Prinzip: Wenn wir eine bessere, spannendere
Geschichte finden, dann kommt die eben vorher dran. Gibt
es eine Regel, über wie viele Folgen sich die einzelnen Geschichten
erstrecken sollen? Ja, da gibt es eine Grunderfahrung. Wir sind
am Anfang, bei der Geschichte von Aram zum Beispiel, auf bis zu sieben
Folgen gegangen. Das ist eindeutig zu viel für ein Kinderpublikum.
Über fünf, maximal sechs Folgen, wenn es ganz schlimm kommt,
gehen wir nicht mehr hinaus. Das heißt, ein A- oder B-Strang liegt
etwa bei fünf Folgen, dann funktioniert er. Es hat sich gezeigt,
dass man Stränge radikal abschließen und radikal neue anfangen
kann, solange die Geschichten spannend sind. Interessanterweise ist
dieser Wechsel möglich, auch wenn er mich am Anfang, aus meiner
Erzähltradition heraus, sehr geschmerzt hat. Sollen
Stränge, die einmal abgeschlossen wurden, in einer späteren
Folge wieder aufgegriffen werden? Ja. Wahrscheinlich passiert das viel zu wenig.
Es gibt eine Menge angefangener und zunächst einmal beendeter Stränge,
von denen wir nicht wissen, ob es klug wäre, sie irgendwann wieder
aufzunehmen. Das hängt davon ab, ob wir eine neue Idee für
diese Stränge entwickeln. Was
bedeutet Weekly-Format für die Umsetzung der Geschichten? Die Umsetzung sieht
so aus, dass vier Folgen in drei Wochen gedreht werden, d.h. es müssen
eigentlich auch immer wieder vier Folgen in drei Wochen entwickelt und
erzählt werden. Im Moment gehen die Dreharbeiten schneller als
die Buchentwicklung. Daraus ergibt sich ein großer Druck. Auch
bei den Dreharbeiten muss man auf viele Dinge verzichten. Wenn wir zum
Beispiel anfangen, von Mäusen und Vogelspinnen zu erzählen,
oder von unseriösen Tattoo-Studios, dann zuckt natürlich die
Produktion, weil manches in der begrenzten Zeit gar nicht zu drehen
ist. Wie
lange ist der Vorlauf von der Entwicklung bis zum Dreh und zur Ausstrahlung? Vom Deckblatt bis zum fertigen Buch vergehen
etwa drei bis vier Wochen. Zwischen der Fertigstellung der Bücher
und dem Dreh liegen vier bis sechs Wochen, in denen die Regiebesprechung
und die Produktionsvorbereitungen stattfinden müssen. Diese Folgen
gehen dann in die Postproduktion, die etwa vier bis sechs Wochen in
Anspruch nimmt. Wird
bei der Buchentwicklung darauf geachtet, dass man "Schloss Einstein" auch
als Daily zeigen kann? Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen
Erzählzeit und Realzeit? Am Anfang haben wir um die Realzeit gekämpft:
wann Unterricht, wann Pause, wann Wochenende und wann nicht Wochenende,
wann Winter, wann Sommer ist. Mir ist inzwischen klar, so lange die
Geschichten spannend sind, ist es eigentlich fürchterlich egal,
ob man da mal einen Zeitfehler drin hat, oder nicht. Der Normalfall
in "Schloss Einstein" ist, dass pro Folge eine Geschichte erzählt
wird, die innerhalb von zwei bis drei Tagen passiert sein könnte.
Noch einmal: So lange die Geschichten spannend sind, ist es den Kindern
wahrscheinlich auch egal, wie viel Zeit in der Geschichte zwischen der
Ausstrahlung zweier Folgen vergangen ist, und den Erwachsenen, glaube
ich, ebenfalls. Was
jetzt Jahreszeiten anbelangt: In "Schloss Einstein" gab es im August Schnee
und im November ein Pfingstfeuer. Für eine Weekly ist es doch ungewöhnlich,
so wenig Rücksicht auf die Realzeit zu nehmen. Diese Rücksicht kann man nicht nehmen,
so sehr man sich auch anstrengt. Wenn wir eine Geschichte im Mai drehen,
dann wird diese Geschichte möglicherweise im Dezember gesendet.
Wir können im Mai keine Aussendrehs gestalten, die wie Dezember
aussehen. Deshalb gilt die Entscheidung: Die Drehzeit ist die Jahreszeit,
in der die Geschichte erzählt wird. Das heißt, wenn wir die
Geschichten schreiben, schreiben wir auf die Drehzeit hin. Welche Rolle
spielt die Begleitforschung bei "Schloss Einstein"? Nach meinem Wissen beschäftigt sich derzeit
zum Beispiel das Internationale Zentralinstitut für das Jugend-
und Bildungsfernsehen in München in einer Studie mit Soap Operas
und "Schloss Einstein" (s.a. S. XX). Wir sehen uns natürlich regelmäßig
die Einschaltquoten an und führen die Analysen durch, die damit
möglich sind. Die Marktanteilbeobachtung jedoch zum Ausschlag zu
nehmen, Veränderungen bei "Schloss Einstein" vorzunehmen, würde
nichts bringen. Ich behaupte, dass es dann schon viel zu spät wäre.
Eventuelle Probleme müssen wir schon früher sehen. Bei der
Buchentwicklung und bei den Abnahmen müssen wir erkennen, wo es
anfängt zu knirschen, wo es langweilig wird und wo wir "Schloss
Einstein" verändern müssen. Warten wir sechs Monate auf die
Einschaltquoten, dann haben wir schon verloren. Wir beobachten aber
auch die Zuschauerpost und die Resonanz im Internet sehr genau. Hin
und wieder zeigen wir außerdem einigen Kindern, die wir kennen,
eine Folge vorab das ist unser "Testpublikum". Fließen
die Reaktionen von Zuschauern oder des "Testpublikums" wieder in Entwicklung
und Umsetzung der Geschichten ein? Das gehört dazu, wenn ich sage, wir wollen
die Kinder ernst nehmen. Es gibt schon verdammt gute Kommentare, Anregungen
unserer "Testzuschauer", Dinge, die einen nachdenklich machen und die
auch dazu führen, dass man bestimmte Rollen verändert oder
an ganz andere Geschichten herangeht. Zum Beispiel? Ein Beispiel, das mich durchaus nachdenklich
gemacht hat, waren die unterschiedlichen Reaktionen der Kinder auf Scheidungs-
und Adoptivkindgeschichten. Einige Kinder haben das Erzählte plötzlich
abgelehnt, weil in ihrem Leben die Trennung oder Scheidung der Eltern
eine Rolle spielt und sie solche Geschichten im Fernsehen nicht miterleben
wollen, weil sie Angst vor dem Ergebnis haben, das da vorgeführt
wird. Das waren natürlich Signale. Man muss sich darüber klar
sein, dass bei einem Massenmedium sehr viele Kinder zusehen, die unter
der Trennung ihrer Eltern leiden und die damit umgehen müssen oder
für die die Beschäftigung mit der Frage, wer bin ich, wo komme
ich her, im Augenblick eine wesentliche Frage ist davon müssen
wir erzählen. Welche Rolle
spielen Merchandising und Cross-Promotion? Für die Bavaria natürlich eine größere
Rolle, weil sie da Geld drin hat. Für die Redaktion ist das wirklich
Werbung im klassischen Sinn. Jeder Artikel, jedes T-Shirt, jede Uhr,
jeder Regenschirm mit dem Emblem von "Schloss Einstein", der irgendwo
auftaucht, ist Werbung für die Serie im Programm. Wenn ich erfahre,
dass zehntausend Bücher verkauft werden und wenn ich gleichzeitig
die Marktanteile sehe, dann sind das Zeichen dafür, dass "Schloss
Einstein" funktioniert. Wie wird "Schloss
Einstein" finanziert? Das ist eine ARD-Finanzierung aus dem Kinderkanal-Etat
mit einer Eigenbeteiligung der Firma, die es produziert. Die Bavaria
Sonor, die auch "Maus"- und "Janosch"-Rechte hat, hat sich die Rechte
am "Einstein"-Signet und der "Einstein"-Welt gesichert und dafür
einen Betrag X in die Produktion getan. Ist "Schloss
Einstein" letztlich ein teures oder ein billiges Format, wenn man Kosten
und Auswertungsmöglichkeiten einmal gegenüberstellt? Es ist ein langjähriges Geheimnis der Kinderprogramme
der ARD, dass wir immer hoch investiert haben, wenn durch die Qualität
die Wiederholungsquote sehr hoch sein konnte. Qualität zahlt sich
aus. Ich mache das einmal an einem Beispiel fest: "Pan Tau" war damals
ein ziemlich teures Programm. Inzwischen ist es über zwanzig Mal
ausgestrahlt worden, d.h. aus heutiger Sicht hat die "Pan Tau"-Minute
weniger als 100 Mark gekostet. Ist das günstig
im Vergleich zu Kaufserien? Kaufserien kosten heute meines Wissens zwischen
1.000 und 2.000 Mark die Minute für eine Lizenz über fünf
Jahre. Dazu kommen ca. 500 Mark Synchronkosten, das macht 2.500 Mark.
Die ARD hat die Rechte aber nur für fünf oder sieben Jahre,
sendet vielleicht drei Mal und ist bei 800 Mark pro Minute. Wurde denn
bei der Entwicklung darauf geachtet, dass "Schloss Einstein" ins Ausland
verkauft werden kann? "Schloss Einstein" ins Ausland zu verkaufen ist
schwierig. Was man möglicherweise verkaufen könnte, ist das
Format und die Drehbücher, die dann ja länderspezifisch unterschiedlich
ausgestaltet werden können. Auch "Die Sendung mit der Maus" ist
nie als 30-Minuten-Format verkauft worden. "Maus"-Einzelbeiträge
laufen zwar in 84 Ländern, aber letztlich ist es ein deutsches
Format. Dasselbe gilt für "Schloss Einstein", auch wenn es, wie
ich hörte, im Herbst 2000 in Norwegen, Ungarn und Südtirol
ausgestrahlt wird. Wie gehen Sie
bei einer Langzeitserie für Kinder und mit Kindern damit um, dass
die Darsteller relativ schnell aus dem Zielgruppenalter herauswachsen? Wir sind eigentlich immer dabei, neue Darsteller
einzuführen, und das geht so: an jedem Schuljahresende entsteht
eine Patenschaft. Die Kinder des ältesten Jahrgangs gibt es zwar
noch, aber sie werden nicht mehr als Klasse erzählt, sondern als
Individuen, die Patenschaften der neuen, jüngeren Jahrgänge
übernommen haben. "Philip" übernimmt zum Beispiel die Patenschaft
einer neuen Schülerin aus der sechsten Klasse: "Anna". Dadurch
sind die Älteren, solange sie vorhanden sind und mitspielen können,
weiter erzählbar, und ein neuer Jahrgang wird aufgebaut, mit neuen
Geschichten. Das kann man im Grunde genommen jedes Schuljahr so machen.
Es kommt also einfach ein neuer Jahrgang dazu und ein, zwei der bisherigen
Protagonisten tauchen dann nicht mehr so häufig oder nicht mehr
auf. Wir müssen aber ständig darauf sehen, dass uns die Archetypen
nicht verloren gehen. Wie ordnen
Sie "Schloss Einstein" in allgemeine Tendenzen der Fernsehentwicklung
und insbesondere des Kinderfernsehens der 90er Jahre ein? Ich glaube, "Schloss Einstein" wird rückwirkend ein Meilenstein in der Fernsehgeschichte für Kinder sein vielleicht nicht wie "Die Sendung mit der Maus", aber auch nicht so weit weg davon. Es wird insofern wesentlich sein, weil hier etwas entwickelt worden ist, von dem man jahrelang geredet, woran man aber nie geglaubt hat: eine langlaufende Serie für Kinder mit Kindern, hergestellt in industrieller Fertigungsweise, ausgestattet mit begrenzten finanziellen Mitteln, die trotzdem einen Vergleich mit dem Erwachsenenfernsehen nicht zu scheuen braucht. Das bestätigen inzwischen eine Reihe von Untersuchungen. "Schloss Einstein" ist Fernsehgebrauchsware auf hohem Niveau. Wir werden auch im Kinderfernsehen in Zukunft nicht mehr ohne Gebrauchsware auskommen, wenn wir langfristig Erfolg haben wollen. DIETER SALDECKI DAS INTERVIEW INFORMATIONEN Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI Tel.: 089 - 59 00 21 40 Fax.: 089 - 59 00 23 79 eMail: izi@brnet.de internet: www.izi.de COPYRIGHT Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers! |