Gert K. Müntefering
Die
Träume der ARD zum Kinderfernsehen
Eine notwendigerweise wache Betrachtung
Die handfesten Wünsche der Programm-Macher
im öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen haben sich in Jahrzehnten
kaum geändert: geeignete Studios, ein hinreichender Etat und
Berücksichtigung durch die Programmpolitik. So kann über
die alltägliche Programmarbeit auch ein Beitrag zur Kinderkultur
entstehen.
Freilich wissen
wir, dass gerade nach dem Aufwachen noch scharf umrissenes Geschehen
sich mit großer Geschwindigkeit auflöst. Wie also soll
das festzuhalten sein, was uns vor Jahrzehnten beschäftigte?
Wie, vor allen Dingen, ist die Wirkung auf Zeitgenossen, die eine
völlig andere Typologie von Programmgeschehen erleben und gestalten?
An der vorgegeben Überschrift meines kurzen Beitrags habe ich
jedoch nichts auszusetzen. Allmachtsfantasien sind die geringsten
unserer Berufskrankheiten. Deshalb macht es mir auch nichts aus,
mit dem WDR für die ARD zu sprechen. Die Grenzen, da bin ich
gewiss, werden mir schon liebend gerne gezeigt.
Wie es begann
Das wurde auch schon damals mit Eifer betrieben.
Nachprüfbare, abfragbare Ergebnisse wurden verlangt; gesellschaftliche
Defizite nach Pflichtlektüre in curricularen Formaten bekämpft
- auf dem Papier! Das scheiterte schon am Alltagssinn von Kindergärtnerinnen.
Es war also notwendig, das Medium, ein neues Urstromland, zu vermessen.
Der Masterplan dafür fehlte. Den hatte weder das Bundeswissenschafts-
und Bildungsbürgertum in Bonn - und schon gar nicht die Weltrevolution.
Eher schon die Augsburger Puppenkiste –
oder der Hase Cäsar! Ohne viel Theorie bildete sich
an vielen Stellen eine Ahnung von einer neuen Kinderkultur –
sie kam real und nicht als Traum! Und sie wurde unterschätzt!
Traum nehme ich hier als Synonym für
ideale Zustände eines Programms, bei dem man sich in besonderer
Weise im Einklang mit dem Publikum und seinen eigenen Vorstellungen
sieht - und zwar auch noch nach der Ausstrahlung. Aber da gibt es
Verfallsfristen. Erwarten Sie bitte auch deshalb von mir keine Rekonstruktion,
es geht doch wohl mehr um Interpretation – ich
will sie sparsam halten.
Ich spreche nicht, das ist nach dem gestrigen
Tag zu betonen (s. Editorial, Anm.d.Red.), berufsmäßig
für Kinder. Nachgerade froh aber bin ich darüber, dass
mein Arbeitsleben ohne allzu viele Begegnungen mit Kindern in Form
von Gruppen, Befragungs- und Testarrangements, vor allen Dingen
ohne Studiokinder und dem furchterregenden Gegenteil, dem Starkind,
vorübergegangen ist. Ich berufe mich auf den Soziologen Armin
Nassehi von der Universität München, der spekuliert, ob
der pädagogische und erwachsene Blick auf Kinder nicht nur
eine selbstvergessene Projektion ist. Wer nun aber, so denke ich,
nicht die Gleichzeitigkeit des Kindhaften und Erwachsenen dialektisch
in sich als Antrieb nutzt, hat es schwer.
Er muss über die Recherche und Analyse
die Notwendigkeit oder die Überflüssigkeit gerade dieses
einen, gewollten Programms begründen. Er hilft sich dann mit
Begriffen einer kommunikativen Ästhetik oder der sozialen Verantwortung
und heute auch aus der Geschäftswelt. Das tat und tut er in
Anbetracht des für kulturelle Zeiträume immer noch jungen
Mediums oft unter Legitimationszwängen über das umgänglich
Gebotene hinaus. Träumen aber kann man gewiss nicht kollektiv,
sondern nur für sich.
Heute, den 12. Dezember 2001, später
Vormittag, vermute ich schon einige Tage prospektiv, dass Ihnen
die Traumdeutung bereits ein wenig zum Halse heraushängen könnte.
Als Leitwort für eine Zusammenkunft, die nun mal ausnahmsweise
nicht ausschließlich Quoten und Internetkontakte als neue
Berufsgrundlage ansieht, ist das jedoch verdienstvoll –
und wer wollte gerade heute, lieber Paul Löhr, daran zweifeln.
Die alltagstauglichen Träume der ARD
zum Kinderfernsehen unterscheiden sich gewiss nicht von anderen
Erwachsenen. Gut erzogen, adrett zum Vorführen, reduziert toben,
sentimental in der Abenddämmerung. Von Zeit zu Zeit muss der
Sand auf dem Spielplatz gewechselt werden. Ach ja, und Taschengeld.
So hatte die Redaktion eher handfeste Wünsche
als großartige Programmentwürfe. Ein Studio, auch geeignet
für Kamerafahrten, mit einer schön gemalten Dekoration,
ein Schaukasten am Haus auch für Kinderfernsehen, ein halber
Drehtag mehr, eine gelegentliche Erwähnung durch den Direktor
und einen am zufließenden Gebührengeld proportional beteiligten
Etat. Das war die Lage – und so ist sie, glaube
ich, geblieben – auch wenn einige Studios selbst
in Erfurt (dem Sitz des KI.KA – Anm. d. Red.)
genügend groß geworden sind.
Die Innenwelt des Fernsehens ist augenscheinlich
intakt und modern in der Kommunikation. Ein gewisses Misstrauen
gegen die Maus-Klickomaten zum TV-Provider kann ich nicht verbergen,
denn da könnte sich das Fernsehen unversehens auf eine Domäne
reduziert sehen.
Ich habe in jenen Jahren kein Tagebuch geführt.
Protokolle sind nur bedingt verlässlich, da sie gemeinschaftsfähig
sein mussten. Es war klar, dass zunächst nicht das gemeinschaftlich
verabredete Fernsehen für Kinder stilbildend sein konnte, sondern
der an vielen Stellen riskierte Ausreißer. Die überregulierte
Situation jener Jahre führte folgerichtig zu einem fast totalen
Interesse an jeder erzeugten Minute und zu massiven Auseinandersetzungen,
während die Deregulierung in unseren Tagen außer gelegentlichen
Feuilleton-Botschaften weitgehend Desinteresse gebracht hat.
Wo bleibt die Programmpolitik?
Kinderfernsehen ist nun Teil der Medienpolitik
- und nicht mehr, was es ohnehin nur kurze Zeit war, Element einer
Programmpolitik. Unser Bemühen war es damals, dem totalen Interesse
zu entkommen. Für diesen Traum ist ein hoher Preis gezahlt.
Zu viel? Das kann man nicht abschließend sagen. Und das hängt
wie folgt zusammen: Nehmen wir die Möglichkeiten, zum Beispiel
im Kinderfernsehen nach den Maßstäben des Fernsehspiels,
der Serie oder des Erwachsenenkinos zu erzählen. Das ist an
vielen Stellen realisiert. Gleichzeitig schrumpfte, soweit überhaupt
vorhanden, das Interesse des erwachsenen Zuschauers und somit auch
das mögliche Interesse des Redakteurs im Fiction- und U-Bereich
an diesem generellen Erzähl-TV für Kinder –
manchmal übrigens noch mehr an den eigenen Erwachsenenthemen.
Man traut folglich diesem Genre nicht mehr zu, dass es Erfolg in
der gesellschaftlichen Diskussion, bei den Quoten und bei der eigenen
Fantasie bringt. Das Ergebnis irritiert dann besonders, wenn die
poetische oder soziale Vorführung so nachhaltig gelang, wie
es in Papieren für Fördergremien versprochen worden war.
Da wurde man in falscher Weise erwachsen und wollte oft noch tiefgefrorene
Utopien auftauen. In der kulturellen Evolution ist nun mal die Akzeptanz
der Selektionsmechanismus – weshalb sie auch
niemals als Handlungsziel aufgegeben werden darf. Immerhin ist es
beruhigend, dass wöchentliche Erzählungen dort, wo sie
alltäglich sein wollen, auf unspektakuläre Weise Gegenwartsfernsehen
bilden. Wiederum: Unterschätzt. Einschub: Information.
Erwartungen der Kinder
Ob man nun will oder nicht –
das Kinderfernsehen verlangt auch nach dem besonderen Katalysator,
der die klassischen und oft beschriebenen Erwartungen der Kinder
so erfüllt, dass es dem Erwachsenen vielleicht zunächst
absonderlich, später dann einsichtig erscheinen mag. Den natürlichen
Vorsprung der Kinder, die Unbefangenheit, muss der Erwachsene als
Zuschauer zunächst einholen - was mit inszenatorischer Seriosität
erleichtert werden kann. Das bedeutet für die erfolgreichen
unter diesen Programmen eine gelungene Balance zwischen aufgesetzten,
verfremdeten, manchmal auch schlicht albernen Elementen und Solidarität
des Gedachten, Gespielten und Gezeigten. Das führt mich zu
der Umkehrung eines gewissen Satzes, und dieser neue Satz lautet
so: Kinderfernsehen ist, wenn Erwachsene zusehen. Was ist damit
gemeint? Sicher ist es nicht der Versuch, Kinderfernsehen universell
am Erwachsenen zu messen. Gewisse Programme führen in autonomes,
vollständig legitimes Leben für die Kinder und mit ihnen,
und der Erwachsene, mag er stören oder nicht, weiß nicht,
was da geschieht. Manchmal erklärt das dann später das
IZI. Umgekehrt geht es auch nicht um jenen Vater, der selbstvergessen
mit der komplizierten Eisenbahn spielt, während das Kind gerade
noch die grüne Kelle heben darf.
Fazit
Vor etwa 40 Jahren hat für einige der
hier Anwesenden der lange Weg begonnen, Kinderfernsehen als Regelfall
Fernsehen zu denken und zu realisieren. Das begann mit dem überwachten
Kinderprogramm, führte dann zu den geduldeten Freiräumen
mit flüchtiger Eingangskontrolle und ist nun öffentlicher
Freizeitpark. Für die Gleichzeitigkeiten ist heute kaum eine
kohärente Theorie zu entwickeln, sie war einstmals ebenfalls
Wunschdenken. Früher waren die Sicherheiten zudem sicherer,
bis sie dann eines Tages geknackt wurden. Heute muss in generell
unsicheren Zonen doch exemplarisch und regelmäßig bewiesen
werden, warum es dieses Kinderfernsehen gibt und weiter geben sollte
– und das muss der erwachsenen Zuschauer emotional
wahrnehmen und nicht als ungerichteten Trieb abarbeiten. Diese Arbeit
muss am Tage und im Wachzustand geleistet werden und nicht nachts
im Traum. So war es damals übrigens auch.
Das Dumme oder Gute ist: Kinderfernsehen
ist offensichtlich nicht oder nur unzureichend in der Lage, von
sich selbst zu lernen. Es gibt eben keine Entwicklungsbausätze.
Keine Mechanik wie beim Autobau oder bei der Ausrichtung eines Festivals.
Das Dumme: Fehler werden immer wiederholt. Das Gute: Es macht nichts,
denn die Kriterien der Aufsicht der Wahrnehmung sind nicht sehr
entwickelt. Fazit: Eine neue Generation hat neue Chancen.
DER AUTOR |
Gert K. Müntefering ist Professor
an der Universität Gesamthochschule Kassel.
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