Susanne Müller
Als Maja mit Timm Thaler
in der Kiste rappelte
Eine Kurz-Geschichte des ZDF-Kinderprogramms
Über viele Jahre träumten die Verantwortlichen des
Kinderprogramms im ZDF zweigleisig: von Aufklärung und Unterhaltung.
Heute sind diese Gräben überwunden zum Wohle der jungen
Zuschauer.
Ich bin keine Frau der ersten Stunde. Ich
habe die aufregende Zeit der 60er- und 70er-Jahre nicht in der Fernsehredaktion
miterlebt. Da gibt es andere im ZDF, oder inzwischen auch schon
außerhalb, die dabei waren. Stellvertretend nenne ich nur
Josef Göhlen, Ingo Herrmann und Bärbel Lutz-Saal, die
nicht mehr im ZDF sind, und Alice Ammermann und Susanne van Lessen,
die beide immer noch für das Kinderprogramm arbeiten. Wenn
ich also über die ersten Jahre der ZDF-Kinderfernseh-Träume
spreche, dann ist das absolut Wissen aus zweiter Hand.
Ich habe diesem Vortrag die Überschrift
"Als Maja mit Timm Thaler in der Kiste rappelte" gegeben. Das ist
keine Erfindung von mir, sondern ein Plagiat oder ein Zitat. Alle
die, die wirklich schon lange dabei sind, werden sich an dieses
Buch erinnern. "Wenn Ernie mit der Maus in der Kiste rappelt" erschien
1975, es ging um Vorschulerziehung im Fernsehen und es war geschrieben
von der Projektgruppe Kinderfernsehen, die im Wesentlichen am Publizistischen
Institut der FU in Berlin wirkte. Gut gefällt mir übrigens,
dass das Exemplar, das ich in meinem Büro vorgefunden habe,
eine Signatur der Bibliothek des Saarländischen Rundfunks trägt.
Schnelting steht auf der ersten Seite – Karl Schnelting hat es also
wohl nach Mainz gebracht, als er zum ZDF kam, und inzwischen hat
das Werk einige Redaktions- und Hauptredaktionsleiter überlebt.
Ich studierte zu der Zeit auch in Berlin am Publizistischen Institut
und hatte nicht den Plan, zum Kinderfernsehen zu gehen (Kinderfernsehen
war an mir vorbeigegangen, wir bekamen den ersten Fernseher als
ich schon 12 war), aber die Diskussion um das Kinderfernsehen fand
ich interessant. Zitate aus dem Klappentext: "Vorschulprogramme
sind der große Hit der Fernsehsender. ... Vorschulerziehung
ist eine Notwendigkeit, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften
zu decken, aber Vorschulerziehung kostet Geld und das wollen die
Politiker nicht zur Verfügung stellen."
Der Anfang
Aber halt, das war ja schon die Gegenbewegung.
Fangen wir mal von vorne an. Als das ZDF 1963 seinen Sendebetrieb
aufnahm, gab es für Kinder nur wenige Sendungen im Programm.
Immerhin wurde ja noch 1957 im Jugendschutzgesetz Kindern unter
sechs Jahren der Besuch von Kinos grundsätzlich verboten. Das
ZDF profilierte sich gegenüber der bereits etablierten ARD
mit einem großen und erfolgreichen Unterhaltungsanteil und
auch das Angebot für die jüngeren Zuschauer sollte so
ausgerichtet werden. 1965 wurde ein "Aufbaustab Nachmittagsprogramm"
eingerichtet, 1967 die Redaktion "Kinder und Jugend" gegründet.
Max Loeser hieß der damalige Redaktionsleiter. Eine eigene
Vision von Kinderprogramm gab es noch nicht. Spielhandlungen mit
abenteuerlichem Charakter oder fabelhaftem Geschehen, Kaufware aus
den USA, dominierten. Die erste eigenproduzierte Sendung hieß
Hallo Freunde, ein Programm, das unter dem Motto "Informatives,
Spannendes und Vielerlei" neben Ratespielen auch Bastelanleitungen
lieferte. Die Probleme und die Realitäten des Alltags blieben
jedoch ausgeklammert. Sicher lag das auch daran, dass es überhaupt
nur drei Kinderprogrammtermine gab – Mittwoch, Samstag und Sonntag
– und dass wenig Geld zur Verfügung stand. Die nächsten
Kinderprogrammchefs, Alois Schardt und Josef Göhlen, versuchten,
das Kinderprogramm voranzubringen, wobei sie sich weniger um pädagogische
Konzepte, sondern mehr um unterhaltende Modelle kümmerten.
Josef Göhlen konnte 1973 durchsetzen, dass es eine tägliche
Sendestrecke für Kinder gab, das Programm wurde kontinuierlich
auf sechs Wochenstunden ausgeweitet, womit die ARD übertroffen
wurde. Von den Sendezeiten an den Wochentagen zwischen 17 und 18
Uhr können heutige Kinderprogrammverantwortliche im ZDF wirklich
nur träumen.
Die spannenden 70er-Jahre
1973 wurden erstmals – und bisher leider
letztmals – die Mainzer Tage der Fernsehkritik zum Thema "Kinder
vor dem Bildschirm" veranstaltet. Das war, wie auch schon das zitierte
Buch, Ergebnis der intensiven Diskussion um die Vorschulprogramme.
Ingo Herrmann, Leiter der Redaktion Bildung und Erziehung, erläuterte,
warum er mit seiner Redaktion den Anspruch auf Umsetzung erhob und
den konzeptionellen Hintergrund: "Kinder vor dem Bildschirm sind
Zuschauer." Der Satz ist banal, selbstverständlich ist er nicht.
Wie sonst war und ist es möglich, Kinder so beharrlich zu ignorieren?
Dass es vor zehn Jahren möglich war, Kinder als Zuschauer zu
ignorieren, ist oft bemerkt und bemängelt worden. Festzustellen,
dass es heute noch immer nicht unmöglich ist, an unseren Kindern
vorbei Fernsehen zu machen, kommt dagegen der indezenten Berührung
eines Tabus nahe. Gibt es doch respektable Kinderprogramme, noch
respektablere Redaktionen für Kinderprogramme und – respectabilissime
– runde Millionen, die dafür ausgegeben werden.
Doch tritt nicht gerade hier das Problem
offen zutage? Eine, wie man beweisen könnte, strukturell kinderfeindliche
Gesellschaft leistet sich das Alibi goldener Gettos aus purer Kinderfreundlichkeit.
Man erzählt wirklichkeitslose Märchen in wohlbegrenzten
Programmnischen, sofern die nicht anderweitig benötigt werden,
für die Selbstdarstellung von Politikern zum Beispiel. Und
mit den Kindern werden auch gleich die "für sie zuständigen"
Programmleute ins Getto eines Fachressorts geschickt. Da mögen
sie sich "auf ihrer Spielwiese tummeln, brav, folgsam und unpolitisch."
Alles klar?
Auch wenn er es abstritt – ein bisschen
eine Kriegserklärung war das schon. Und Elmar Lorey von der
Projektgruppe Rappelkiste ergänzte in seinem Vortrag: "Das
Weltbild dieser Kinder (und damit waren die unterprivilegierten
Kinder gemeint) – und wie ich meine nicht nur dieser Kinder – ist
geprägt durch die ständige Erfahrung von Ohnmacht und
Unterlegenheit, durch ständig wachsenden Druck, sich vorgegebenen
Erfahrungen anzupassen, ohne sie selbst machen zu können. Auch
jene Kinder, die man zur relativ "privilegierten Mittelschicht"
zu rechnen gewohnt ist, leiden unter der ständig wachsenden
Einschränkung ihrer Erfahrungsräume. Der Domestizierungsvorgang,
dem auch sie unterliegen, ist von "Familienprovinzialismus", von
Überbehütung und Leistungsdruck bestimmt. Wahrlich kein
Paradies für Kinder." Elmar Lorey und die Rappelkisten-Gruppe
wussten zwar, dass Kinderfernsehen die Realität der Kinder
nicht würde verändern können – sie wollten aber die
Wirklichkeit, vor allem die unnötigen und bedrängenden
Anteile dieser Wirklichkeit, als veränderbar zeigen. Die Geschichten
dieses Kinderfernsehens sollten Spielraum bieten, der die Lust am
Suchen nach neuen, besseren Möglichkeiten wach hielte. Die
Beteiligung von Kindern in allen Phasen der Herstellung dieser Geschichten
sollte verhindern, dass das Spiel am Leben der Kinder vorbei veranstaltet
würde. Das waren die formulierten "Träume" oder vielleicht
besser: Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen der Projektgruppe Rappelkiste,
der späteren Redaktion "Kleine Reihen/Familienprogramm" um
Elmar Lorey, Bärbel Lutz-Saal und Susanne van Lessen, die viele
Jahre mit großer Konsequenz die Sendereihen Rappelkiste, Neues
aus Uhlenbusch, Morgen schon, Hals über Kopf und andere realisierte.
Die Schlechten und die Guten
Als ich – Jahre später und eher zufällig
– beim Kinderprogramm landete, überkam mich ganz bald eine
Irritation: Ich hatte das Gefühl, dass es da im ZDF eine gute
und eine schlechte Kinderprogrammredaktion gäbe. Ich war irgendwie
bei den Schlechten gelandet, in der Redaktion Kinder und Jugend
bei Josef Göhlen. Die guten Kinderprogrammredakteure waren
aber die aus der anderen Redaktion... Ich konnte das nicht verstehen.
Die einen gewannen die Preise, die anderen wurden wegen gewisser
Einschalterfolge geduldet. Arbeiteten wir nicht alle für die
gleichen Zuschauer? Erst nach und nach habe ich die Gräben
gesehen, die Vorurteile gehört, die Konkurrenz begriffen.
Josef Göhlen nahm für sich in Anspruch, die Bedürfnisse
und Wünsche der Zuschauer erkennen und erspüren zu können
– nach seiner Ansicht sollte das Fernsehprogramm danach gestaltet
werden. Er schrieb programmatisch: "Ein Fernsehprogramm wird von
den Fragen und Wünschen des Zuschauers her bestimmt. Immer
wieder haben die Menschen von und in nicht erfüllten Träumen
gelebt und werden dies auch in Zukunft tun; und sie haben immer
danach gestrebt, sie sich wenigstens in der Vermittlung bestätigen
oder erfüllen zu lassen. Dies gehört zum bestimmenden
emotionalen Leben eines jeden Menschen. ... Plädiert wird also
für ein publikumsnahes Programm, das die emotionalen Erwartungen
des Zuschauers erfüllt und dessen Neugierde befriedigt, weil
auch dies eine Kraft des Kreativen ist und den geistigen Horizont
erweitert. Zunächst muss der Programm-Macher eines Familienprogramms
also fragen, was das Publikum will." Die Rappelkisten-Konkurrenz
im eigenen Hause sah Josef Göhlen eher mit Unverständnis
und so blieben Seitenhiebe nicht aus: "Die Redakteure der Programme
für Kinder im Vorschulalter haben immer wieder darauf hingewiesen,
dass ihre Sendungen gemeinsam mit den Eltern zu sehen sind. Dies
ist eine richtige Forderung. Die Realität hat ihnen jedoch
nachgewiesen, dass sie vom Zuschauer kaum oder gar nicht erfüllt
wird. Deshalb muss bereits im Stadium der Konzeption eines Programms
darauf geachtet werden, dass es auch Erwachsene interessiert. ...Entscheidend
sind der erzählte und damit unterhaltende Inhalt, eine faszinierende
Darstellung und die formale Konstruktion. ...Der Charakter eines
solchen Programms wird immer unterhaltend sein, weil die Kinder
vollwertige Teilnehmer der Medien sind und durch den Stress, dem
sie täglich in der Schule, auf der Straße, ja auch im
Elternhaus ausgesetzt sind, ihr Entspannungsbedürfnis gerade
durch das Fernsehen erfüllt sehen wollen."
Mit seiner Philosophie musste sich Josef
Göhlen vielen Vorwürfen aussetzen, vor allem dem, dass
er den Eskapismus fördere. Rainald Merkert schrieb noch 1978:
" Mit einer einfachen aber sicheren Dramaturgie wurde in der Regel
die Chance zur Flucht aus der Alltagswelt ins Reich einer vagabundierenden
Fantasie geboten. Die Rückkehr in den Alltag kann dann ohne
Zugewinn durch den Zuschauer leicht erfolgen, sieht man von einem
gewiß wichtigen Entspannungseffekt ab. Häufig wurden
in den Filmen dieser Kategorie die Identifikationsfiguren für
kindliche Machtfantasien so hoch angesetzt ("Übermenschen"),
dass den zuschauenden Kindern nur – wie Tommy und Annika in Pippi
Langstrumpf – ein staunend offener Mund (und) die ernüchternde
Gewissheit bleibt, dass sie zu den vorgeführten Taten doch
nicht in der Lage sind." Da staunt man schon aus heutiger Perspektive!
Josef Göhlen ließ sich jedoch nicht beirren. Das von
ihm realisierte Kinderprogramm seiner Träume war geprägt
von lang laufenden und unterhaltenden Serien, sowohl real als auch
im Trick. Dass die Entscheidung für die großen Zeichentrickserien
Die Biene Maja, Heidi, Wickie, die ihm zu seinem Spitznamen "Insektenjupp"
verhalfen und die auch heute noch mit seinem Namen verbunden werden,
eher aus einer Notlage heraus fiel, ist hier nicht wichtig, aber
doch interessant. Die Serienredaktion sollte nämlich mit zahlreichen
Neuproduktionen den Vorabend stärken – da blieb nicht genug
Geld für die allein zu finanzierende große Auftragsserie
im Kinderprogramm – und das Modell der internationalen Koproduktion
war entwickelt. Josef Göhlens Name ist natürlich noch
mit anderen Programmen verbunden: z.B mit den Weihnachtsserien und
der Muppetsshow. Aber obwohl er für das Unterhaltungsmodell
stand, konnten auch andere Blumen in seinem Programmgarten gedeihen:
Robinzak z.B., betreut von Alice Ammermann, eine Sendung, die "Erwachsene
provozieren wollte, sich und ihre Welt kritisch zu betrachten, zugleich
aber die berechtigten Ansprüche der Kinder und ihres lebensnotwendigen
Selbstbewusstseins zu berücksichtigen." Und obwohl Josef Göhlen
für ein Kinderprogramm plädierte, das Familienprogramm
ist, ließ er eine Ausnahme gelten: den Informationssektor.
Hier, so meinte er, hätten spezifische Programmangebote ihre
Berechtigung. So entstanden Pfiff, das Sportstudio für junge
Zuschauer und auch der Schülerexpress. Göhlens Kritiker
haben seine Strategie als Populismus bezeichnet. Aus heutiger Sicht
könnte man ihm bescheinigen, dass er die quantitativen Erfolgskonzepte
der Privaten antizipiert hat. In der Gesamtbetrachtung muss man
wohl konstatieren, dass irgendwie beide, Herrmann und Göhlen,
Recht gehabt haben – und dass wahrscheinlich dann, wenn ihrer beider
Träume, Visionen und Phantasien zusammenkommen, das ultimative
Kinderprogramm entsteht.
Von den 80er-Jahren bis heute
Die letzten 15 Jahre des Kinderprogramms
halte ich kurz. Auf Josef Göhlen folgte Markus Schächter.
Mit seinem Hauptredaktionsleiter Michael Albus war er sich einig:
Das Programmangebot für die jungen Zuschauer sollte neu definiert
werden. Keine radikale Abkehr von allen Erfolgskonzepten – aber
eine neue Positionsbestimmung. Schächter wollte ein "publikumsnahes,
familienorientiertes, pädagogisch zu verantwortendes Programm
profilieren, das durch handwerkliche Professionalität, zielgruppengemäße
Dramaturgie und ästhetik die Akzeptanz der Zuschauer und die
Zustimmung der veröffentlichten Meinung findet." Zu den neuen
Akzenten, die er setzen wollte, gehörte die Entwicklung eines
Programms für kleinere Kinder. Das hielt er für erforderlich,
weil die damals für Rappelkiste verantwortliche Redaktion mittlerweile
neue Schwerpunkte gesetzt hatte – mit Löwenzahn und Karfunkel
zum Beispiel. Weiterhin – und hier kommen meine Träume ins
Spiel – wollte er eine Nachrichtensendung für Kinder etablieren,
naturwissenschaftliche, musikalische und dokumentarische Programmformate.
Unter der Überschrift "Attraktiv und verantwortet – ein Vollprogramm
im Kleinen" wurden die Pläne konkretisiert: logo, die Nachrichtensendung
für Kinder, startete 1988, im gleichen Jahr kam die Vorschulreihe
Siebenstein ins Programm, das Umweltmagazin mittendrin folgte. Mit
Wenn du mich fragst, einer Reihe von Realfilmen zu ethischen Fragen,
oder auch mit der ehrgeizigen Konzentration auf europäische
Zeichentrickprojekte veränderten sich das Gesicht und auch
das Image der Redaktion. Mit seinen zehn Geboten legte Markus Schächter
die Messlatte für seine Redakteure hoch. Ich nenne nur einige:
- "Du sollst den Erfolg suchen. Aber
sei argwöhnisch dem wohlfeilen Beifall gegenüber. Das
öffentlich-rechtliche Kinderprogramm hat dann Erfolg und
findet auch dann die große Zahl der Zuschauer, wenn es Qualität
anbietet.
- Du sollst den Hochmut meiden – deine Suche
nach handwerklicher Qualität soll dich nicht blind dafür
machen, dass andere mit weniger Geld und neuen Formen ebenfalls
interessante Programme machen.
- Du sollst deine eigenen Stärken
kennen und ausbauen.
- Du musst dein Publikum kennen und es
dort abholen, wo es sich befindet.
- Du sollst ein guter Geschichtenerzähler
sein.
- Achte auf Deine Helden.
- Du sollst die Kinder ernst nehmen.
- Du sollst lernen zu trommeln."
Markus Schächters realistische Träume
und deren Umsetzung hatten Folgen: Auszeichnungen, öffentliche
Aufmerksamkeit – die Kinderprogrammordnung im ZDF geriet durcheinander.
Hatte bislang der Grundsatz gegolten, dass "Kinder und Jugend" fürs
Populäre zuständig ist und die ehemaligen Rappelkisten-Kollegen
fürs Konzeptionelle, so war nun der als Innovationswerkstatt
bekannt gewordenen Redaktion "Kleine Reihen/Familienprogramm" Konkurrenz
im eigenen Hause erwachsen. Und uns alle miteinander bedrohte die
kommerzielle Konkurrenz. Da blieb wenig Zeit zum Träumen. Da
musste gehandelt werden. Das meine ich, wenn ich sage: Kinderprogrammredakteure
sind keine Träumer. Albert Schäfer und ich, die nächsten
Kinderprogrammleiter im ZDF, versuchten, die alten Gräben zu
überwinden. Wir haben als eine unserer ersten Amtshandlungen
den Kolleginnen von "Kleine Reihen/Familienprogramm" vorgeschlagen,
Löwenzahn jede Woche zu senden – und nicht mehr nur 13-mal
im Jahr. Das hat sicher mit zum Erfolg dieses Programms – unser
am besten eingeschaltetes – beigetragen. Und damit mache ich jetzt
einen großen Sprung: zu meinen Träumen, als Redakteurin
von 1981 bis 1992, als Redaktionsleiterin von 1992 bis 1998 und
als Leiterin des Programmbereichs von 1998 bis jetzt.
1. logo – davon sprach ich schon. Kinder
erleben die Welt, in unserer medialen Welt kann man nichts mehr
vor ihnen verbergen. Dann gehört es zu unserer Verantwortung,
ihnen das zu erklären, was sie vielleicht nicht verstehen
können. logo durchzusetzen war nicht leicht. logo zu erhalten
war auch nicht einfach. Inzwischen läuft logo täglich
im Kinderkanal zu einer guten Sendezeit – und mir scheint, dass
gerade die Ereignisse des 11. September bewiesen haben, wie richtig
eine solche Sendung ist.
2. Der Kinderkanal. Angesichts des großflächigen Angebots
der privaten Konkurrenz verlor das ZDF-Kinderprogramm an Bedeutung
und an Zuschauern. Das amerikanische - kommerzielle! – Vorbild
Nickelodeon imponierte mir. Ein Kanal nur für Kinder. Ein
sicherer Hafen, in dem sie immer ihr Programm finden könnten.
Ein Sender, der im Hauptprogramm verlorene Abendsendezeiten zurückbringen
würde. Mehr Geld. Direkte Kommunikation mit dem Publikum.
Platz, um Neues auszuprobieren. Viel Fläche, um ein Angebot
für alle machen zu können – für Jungs und Mädchen,
kleine und große, deutsche und ausländische Kinder,
Neugierige, Schlaue und viele andere. Es war eine lange Geschichte.
Der Erfolg hat mir (und den anderen, die daran glaubten und daran
mitgearbeitet haben) Recht gegeben.
3. Dass alle Kinderprogrammredaktionen
des ZDF zusammenarbeiten – zum Wohle seines Publikums. Auf dass
die unterschiedlichen subjektiven Konzepte sich befruchten und
ergänzen. Den Programmbereich "Kinder und Jugend" gibt es,
am Rest arbeiten wir.
4. Kinder lieben die multimediale Welt.
Die soll auch unser Fernsehprogramm begleiten. Erfolgreiche CD-ROMs
haben wir schon. Unser Online-Angebot ist zwar preisgekrönt,
aber es gibt noch viel zu tun. Außerdem fehlt mir noch ein
Kinderradio und eine Idee, wie die Handy-Leidenschaft der Kinder
sinnvoll genutzt werden kann.
Sie sehen: das sind keine großen
Träume, tiefsinnig theoretisch untermauert. Kinderfernseh-Redakteure
dürfen keine Dogmatiker, sie müssen pragmatisch, realistisch
und trickreich sein. Von allen umgesetzten Träumen meiner Vorgänger
haben wir für ZDF und KI.KA das Beste bewahrt. In unserem Programm
verbinden sich erfolgreich Die Biene Maja und Löwenzahn, 1, 2
oder 3 und Pippi Langstrumpf. Wir nennen das dann Klassiker und Tradition,
sprechen von der Liebe der Kinder zur Wiederholung und davon, dass
sich in unserer heutigen Fernsehwelt Neues nur schwer etablieren lässt.
Dabei verschweigen wir, dass wir es uns einfach nicht leisten könnten,
mehr neu zu produzieren. Und wir verschweigen auch, dass wir sehr
froh sind, dass diese Programme immer noch so erfolgreich sind – denn
im Windschatten ihrer Quote können wir immer wieder Neues ausprobieren.
Und das sind die kleinen fantastischen Träume des Alltags: Jedes
Jahr mindestens zwei bis drei neue Formate erproben können –
von denen vielleicht eines wirklich gelingt und überlebt. Dr.
Mag und beatz per minute – wie ich meine, gelungene Versuche für
Ältere – haben nicht überlebt, aber unser Clubformat Tabaluga
tivi ist erfolgreich geworden. Zurzeit experimentieren wir mit Comedy
– ein Beispiel war die Comic-Serie Beim nächsten Coup wird alles
anders, außerdem mit Doku-Soaps wie Fußballfieber und
Überflieger und mit dem tivi-Movie. Was neulich in Baden-Baden
zum erwachsenen Fernsehfilm gesagt wurde von Martin Wiebel, dem Vorsitzenden
der Jury, nämlich dass der Fernsehfilm dem Kino etwas vormache,
beanspruche ich ein Stück weit auch für uns. Mit Filmen
wie Liebe, Lügen und Geheimnisse, Der Flug des Albatros, Der
Hund aus der Elbe, Küss’ mich Frosch und Der Mistkerl haben wir,
meine ich, die Kinderfilmszene in Deutschland neu belebt. Auch das
hat nach meiner Überzeugung Zukunft. Was ich mit all dem sagen
will: Kinder haben ein Recht auf ein Fernsehprogramm, das ihre Fantasie
beflügelt. Und damit sie das bekommen können, brauchen wir
Redakteure und Produzenten mit starker Fantasie, die immer wieder
neue Ideen entwickeln und viel kreative Fantasie, um Wege zu finden,
wie diese Ideen trotz aller Probleme umgesetzt werden können.
Also: auch nach 50 Jahren kein Ende der Fantasie im Kinderprogramm!
DIE AUTORIN |
Susanne Müller ist Leiterin
des Programmbereichs Kinder und Jugend beim Zweiten Deutschen Fernsehen
(ZDF) in Mainz.
INFORMATIONEN |
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