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Welche Rolle spielt Geschlecht?
EDITORIAL
D
ie Gleichheit von Frauen und Männern ist nicht nur
grund-gesetzlich festgelegt, unsere Gesellschaft hat sich
vertraglich verpflichtet, die unterschiedlichen Lebenslagen
von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen und
Benachteiligungen abzubauen. Der empirische Blick ins
Kinderfernsehen zeigt jedoch schnell: dieses Ziel ist im
Fernsehangebot bei Weitem noch nicht erreicht. Sicher,
es gibt sie, die starken Mädchenfiguren, aber deutlich
häufiger sind kleine und große Männer die Helden des
Fernsehprogramms. Insbesondere bei Zeichentrick-Angeboten dominieren sie das Kinder-fernsehen mit 80 %
der Hauptrollen.
Wie kommt es, dass in einem Bereich, der als pädagogisch
ausgesprochen bedeutsam für die Entwicklung von
Geschlechterbildern identifiziert wurde, ein derartiges
Missverhältnis herrscht? Die Begründungszusammenh änge sind vielfältig. Mangelndes Bewusstsein bei
einigen Fernsehmacher*innen oder Stereotype darüber,
was Mädchen bzw. Jungen wollen, gehören aber ganz
sicher dazu. Bei anderen Produzierenden verlagert sich
das geschlech-terspezifische Engagement hin zu den
Jungen als die vernachlässigte und für Qualitätsfernsehen
schwer zu erreichende Zielgruppe.
Um Orientierung in Sachen Gender Mainstreaming geben
zu können, ist der Stand der Rezeptionsforschung im
Bereich Kinder Jugend Fernsehen leider nicht immer
hilfreich. Es fehlt an gezielten Studien und nicht selten
bleibt Forschung hinter der real existierenden Vielfältigkeit
von Geschlech-teridentitäten weit zurück. Hier setzt
diese Ausgabe an, zeigt Facetten der Bedeutung von
Geschlecht für die Fernsehrezeption auf und geht Fragen
nach wie: Was sind denn Themen, Fernsehfiguren und
Geschichten, die Mädchen und Jungen interessieren und
fördern? Welche Rolle spielen »Gender, Class and Race«
bei der Aneignung von Fernsehprogrammen? Was heißt
»Geschlechtersensibilität« bei der Fernsehproduktion?
Die hier vorgestellten Erstveröffentlichungen zu IZI Studien
und Interviews mit Produzierenden machen
zumindest eines klar: Trotz über 150 Jahre Frauenbewegung,
58 Jahren Gleichberechtigung und 7 Jahren
Gender Mainstreaming bleibt noch sehr viel zu tun, zu
analysieren und zu reflektieren.
Maya Götz
FORSCHUNG
Maya Götz
Die Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen
Die Analyse der Hauptfiguren im
deutschen Kinderfernsehen zeichnet ein
relativ eindeutiges Bild: Mädchen- und
Frauenfiguren sind klar unter-repräsentiert
und stereotypisiert. Neben der hilflosen
Blonden findet sich überproportional
häufig die egozentrische Rothaarige.
Dafna Lemish
Was bedeutet "Gender"?
Wie könnte eine geschlechtergerechte
Welt im Kinderprogramm aussehen?
Produzent*innen aus aller Welt wurden
hierzu interviewt. Ihre Standpunkte werden
mit der Entwicklung feministischen
Denkens abgeglichen.
Sabine Feierabend
Der kleine Unterschied
Auf der Basis der Ergebnisse der KIMStudie
werden Unterschiede im Medienbesitz,
in den Mediennutzungszeiten und
in der Auswahl des Programmangebots
bei 6- bis 13-jährigen Kinder und Pre-Teens vorgestellt. Bei der Programmauswahl
zeigen sich die größten Unterschiede
zwischen Jungen und Mädchen.
Maya Götz
Nur schön, sozial und nachgiebig?
In qualitativen Fallstudien und einer
Repräsentativbefragung wurden die
Lieblingsfiguren der Mädchen und
Jungen erfragt. Dabei zeigt sich: Mädchen
bevorzugen erfolgreiche, starke, aber auch
freche und tragische Figuren je nach
handlungsleitendem Thema und
Bearbeitungsstrategie.
Reinhard Winter, Gunter Neubauer
Oben drüber oder unten durch
Qualitative Interviews zeigen, dass die
männlichen Kids Clowns, Loser, Helden
und Kämpfer mögen. Die Figuren sind für
Jungen attraktiv und entwicklungsf ördernd, weil sie zeigen, wie Anforderungen
aktiv bewältigt werden können:
Erfolgreich »über die Messlatte« oder
subversiv »drunter durch«.
Divya C. McMillin
"Wenn wir aufhören, uns zu fürchten"
Unterschiedliche Fernsehpräferenzen
indischer Teenager lassen sich auf deren
Gender-Perspektive und sozialen Status
zurückführen, so diese qualitative Studie.
Jungen bevorzugen Comedians und starke
Helden, Mädchen wählen Fernsehfilme
und Soaps, zur Unterhaltung oder als Vorbilder
für sozialen Aufstieg.
JoEllen Fisherkeller, Zelda Freud
"Sie ist keine richtige Mutter"
Wie begründen New Yorker Teenager
die Wahl ihrer Lieblingsfernsehfigur(en)?
Und hat dies etwas mit genderspezifischen
Eigenschaften dieser Figuren zu
tun? Am Beispiel der Lieblingsfigur
eines Mädchens wird darüber hinaus
gezeigt, in welcher Beziehung alltägliche
Gender-Erfahrungen und das Interesse
an bestimmten TV-Figuren stehen.
Firdoze Bulbulia
Hautfarbe, Klasse und Fernsehvorlieben
Vier Fallbeispiele von Jugendlichen aus
Südafrika und ihren Beziehungen zu
Fernsehfiguren zeigen exemplarisch,
wie Gender, Alters- und ethnische
Aspekte bei der Auswahl und Rezeption
von TV-Sendungen zusammenspielen.
Elke Schlote
"Die Frau hat geredet, mit allen Eltern an der Schule"
Auch Fernsehsendungen für Erwachsene
bringen Gender-Rollen an den Mann
und an die Frau. An zwei Frauen-Figuren
der Sprachlernsoap DEUTSCH KLASSE
wurde untersucht, wie deren Frau-Sein
inszeniert ist und welche Anknüpfungspunkte
Migrantinnen sehen. Dabei wird
auch die Bedeutung dieser Rollen für den
Deutsch-Erwerb diskutiert.
Barbara Stauber
Geschlechtersensibilität im Kinder- und Jugendfernsehen
Was ist ein attraktives geschlechtersensibles
Programm? Gendersensibel
sein besagt, nicht Rollen vorzuschreiben,
sondern in Figuren und Themen
Möglichkeiten des Mädchen- oder
Junge-Seins aufzuzeigen. Kinder
erwarten vom Fernsehen ohnehin
realitätsnahe Sichtweisen auf die Welt,
um sich ein eigenes Bild zu machen.
PROGRAMM
Tone C. Rønning
Boys will be boys
Corinna Kramp
Von Pünktchen, Pony Hütchen und Mona
Kristina Colliander
Rosas Leben
Astrid Plenk, Andrea Lang
Jungs mögen Action ... aber auch noch mehr!
Eva Radlicki
"Stark" ist, wenn man seinen eigenen Weg findet
Seham Nasser
Fatma setzt sich durch
EXPERTiNNEN DISKUTIEREN
Speak up! - Rollentausch im Klassenzimmer
Toggo United - Die Fußballschule
Odd one out - Von Lucas zu Luus, von Junge zu Mädchen
Die
Fachzeitschrift TELEVIZION kann kostenlos beim
IZI
bestellt werden.
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