IZI-Forschung
 
Zielgruppe 6/7 bis 13 Jahre

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Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen


Wer mit Mädchen, sei es beruflich oder familiär, zu tun hat, dem sind die Formate Gute Zeiten, schlechte Zeiten (im Folgenden GZSZ), Marienhof, Verbotene Liebe oder Unter uns bestimmt begegnet. Bei den 10- bis 15-Jährigen erreichen die Serien Spitzenquoten, und die Hitlisten der Mädchen sind geradezu monoton durch Gute Zeiten, schlechte Zeiten dominiert. Die Mädchen selber beschreiben die Soap-Leidenschaft oftmals als Sucht. Für Außenstehende ist es nur schwer nachzuvollziehen, warum sie wochentags zu einer bestimmten Zeit "immer" vor dem Fernseher sitzen und anschließend "unbedingt" alles mit ihrer Freundin besprechen müssen. Bei einem oberflächlichen Blick ins Programm fallen als Besonderheit höchstens die mangelhafte produktionsästhetische Qualität und die melodramatischen Inhalte auf. Umso befremdlicher erscheint die hohe Bedeutung, die Mädchen "ihrer" Soap zuweisen. Hier setzt die Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) an und untersucht "Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen" (Götz 2002, 1999). Es wurden Soap-Fans befragt, die eine der vier deutschen Daily Soaps oder die Kinder-Weekly Schloss Einstein und die Real-Life-Soap Big Brother als ihre Lieblingssendung bezeichnen, die sie regelmäßig sehen.

Methode

Im Mittelpunkt der Studie steht eine Befragung von 401 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 19 Jahren, die eine der sechs Sendungen als ihre Lieblingssendung angeben, die sie regelmäßig sehen. In strukturierten Befragungen mit offenen Fragen wurden ihnen Räume geboten, ihre Perspektive, ihre Fantasien und Wünsche sowie die Einbindung der Serie in den Alltag zu artikulieren. Bei 184 der Jüngeren (6-13 Jahre) wurde die Befragung in einem ca. 45-minütigen Einzelinterview durchgeführt. Die Älteren bekamen die gleichen Fragen (mit leichten sprachlichen Veränderungen) als Fragebogen zugeschickt und füllten diesen selbstständig aus. Die Stichprobe wurde bundesweit erhoben und berücksichtigt unterschiedliche Schularten und Wohnumgebungen (Großstadt, Vorstadt, ländliches Umfeld). Sie ermöglicht in manchen Bereichen eine vorsichtige quantitative Einschätzung z.B. in Bezug auf altersspezifische und schultypische Aneignungsmuster, geschlechterspezifische Fragestellungen und formatspezifische Unterschiede.

Gesamtsumme Geschlecht Alter
Mädchen Jungen 06-09 10-12 13-15 16-19
Gute Zeiten, schlechte Zeiten 170 153 17 26 50 63 31
Marienhof 97 82 15 3 15 42 37
Unter uns 11 11 0 0 0 3 8
Verbotene Liebe 30 24 6 1 3 8 18
Summe Daily-Soaps 308 270 38 30 68 116 94
begleitende Fälle

Schloss Einstein 40 30 10 20 19 1 0
Big Brother 53 18 35 13 25 13 2
Summe Erhebung 401 318 83 63 112 130 96
Stichprobe

In der Befragung wurden offene Erzählanlässe angeboten, um die eigenen Vorlieben zu beschreiben sowie Fantasien, Emotionen und Träume um die Soap zu artikulieren. Hinzu kommen Fragen zur sozialen Einbindung der Soap-Begeisterung in Rezeptionssituation und Folgekommunikation sowie Informationen zu sonstigen Medienvorlieben und Selbstdarstellung.

Die Auswertung der Befragung fand mit unterschiedlichen Methodenrepertoires statt. Zunächst wurden medienzentriert Porträts mit Hinblick auf die Bedeutung der Soap-Begeisterung für die Einzelnen rekonstruiert und die individuellen subjektiv-thematischen, interaktiven und situativen Funktionen der Soap im Alltag herausgearbeitet. Auf dieser Basis wurden die typischen Aneignungsmuster herausgearbeitet. Die zudem offenen codierten Antworten, die in einer sich selbst erweiternden Datenbank verwaltet wurden, boten einen quantifizierenden Überblick, der u.a. für die Beschreibung der gefundenen Typen hilfreich ist. Hinzu kommt eine antwortvergleichende qualitativ-inhaltsanalytische Auswertung, die die formatspezifischen Besonderheiten der Bedeutung der Daily Soap zeigen konnte.

Im Gesamtprojekt stehen die Mädchen im Vordergrund. Um sich speziell der Bedeutung von Soaps für Jungen zu nähern, wurden neben der Stichprobe sechs weitere Lebensweltanalysen von Jungen, die regelmäßig GZSZ sehen, vor dem Hintergrund aktueller Ergebnisse der Jungenforschung interpretiert. Um auch die Position derjenigen einzuschätzen, die Daily Soaps bzw. Big Brother und Schloss Einstein nicht regelmäßig sehen, wurden zusätzlich Gruppendiskussionen und Morgenkreisgespräche durchgeführt. Hinzu kamen Untersuchungen zu Soap-Fanclubs. Für einen Zugang zur Bedeutung von Daily Soaps für Kinder und Jugendliche ist ein profundes Medienwissen unabdingbar. Innerhalb dieses Projekts wurden hier zwei Schwerpunkte gewählt: eine Analyse der 97 Figuren des aktuellen Hauptcasts der vier deutschen Daily Soaps und eine Themenanalyse aus ca. 3600 Folgen.

Theoretisch verortet ist das Projekt in der qualitativen, handlungsorientierten Rezeptionsforschung, die Medienaneignung als Prozess der Bedeutungskonstitution versteht (vgl. Bachmair 1996, Mikos 2001) sowie in Arbeiten aus dem Umfeld der Cultural Studies.


Zusammenfassung der Ergebnisse


(Kapitel 6 des Buches: "Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen")

Die Daily Soap übernimmt im Alltag von Kindern und Jugendlichen, die sich für dieses Gerne begeistern und es regelmäßig sehen, unterschiedlichste Funktionen. Sie unterscheiden sich bei den einzelnen Formaten zum Teil deutlich, zum Teil nur graduell. Es sind aber immer die Kinder und Jugendlichen, die dem Medium Bedeutung zuweisen, und zwar individuell unterschiedlich. Subjektiv-thematisch dient die Soap-Begeisterung dem Vergnügen, der Information, wird zur Selbstverortung und Bestärkung der eigenen Vorstellungen oder zur Selbstdarstellung genutzt. Sie ist emotionaler Resonanzboden und Teil der Entwicklung von Fantasien und (Wunsch-)Vorstellungen. Die Soap-Begeisterung ist dabei fest in den Alltag eingebunden, wo ihr interaktive und situative Funktionen zukommen. Zusammenfassend lassen sich aus den unterschiedlichen Untersuchungsteilen empirisch häufig auftretende Bedeutungszuweisungen zeigen und pädagogische Einschätzungen formulieren.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Lust an der Spannung und Neugier und Raten, wie es in den Geschichten und Beziehungen weitergeht

Die abwechselungsreichen, spannungsgeladenen Handlungen sind für alle Kinder und Jugendlichen, die regelmäßigen Soap sehen, wichtig, wenn auch mit formatspezifischen Besonderheiten. Für GZSZ-Fans sind es besonders die spektakulären Geschichten um junge Menschen, für Marienhof-Fans die (sozialkritischen) Problemkonstellationen und für Fans von Verbotene Liebe die komplizierten Liebesbeziehungen. Bei Schloss Einstein stehen der mit Abenteuern gespickte Alltag im Internat und bei der ersten Staffel von Big Brother die besonderen (Spiel-) Situationen und das Alltagshandeln im Vordergrund. Die Geschichten, die erzählt werden, stehen aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen dabei immer in enger Verbindung mit den Beziehungen der Figuren und dem Interesse, wie sich die Beziehungen weiter entwickeln. Das Verfolgen, Erleben der Spannung und Raten, wie es wohl weitergeht, ist für regelmäßig Soap-Sehende etwas, was ihnen viel Spaß macht und in dem sie sich als kompetent erfahren.

Die spektakulären Ereignisse sind für Grundschulkinder nicht immer geeignet, können zu Albträumen führen. So berichten Grundschulkinder, sie hätten bei gewalthaltigen Szenen bei GZSZ geweint und davon Albträume bekommen. Insbesondere bei (sexueller) Gewalt gegen Identifikationsfiguren wird dies Jahre später noch beschrieben.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Soap als Informations- und Lehrprogramm

Mit der Soap-Begeisterung geht dabei oft das Gefühl einher, etwas Wichtiges aus der Serie zu lernen: Informationen über mögliche Problemsituationen und Wissen über Beziehungen. Für viele Kinder und Jugendliche ist die Soap eine Art Fenster in eine Erwachsenen-Welt, durch das sie sich Wissenswertes ansehen können. Im gedanklichen (bzw. bei Jüngeren auch ausagierten) Rollenspiel imaginieren sich die Mädchen und Jungen in Handlungsstränge und Figuren ein und überlegen, wie sie gehandelt hätten und wie es wohl weitergeht. Die Serie wird so zum Anlass, sich zu informieren und zu reflektieren, wie soziale Konflikte entstehen und gelöst werden könnten, aber auch, wie Menschen sich darstellen und kleiden sollten. Sie diskutieren dies mit ihren Eltern bzw. FreundInnen und subjektiv entsteht das Gefühl, die Daily Soap sei eine Art Lehrprogramm.

Die Aufarbeitung der Themen in dem Genre ist zumeist melodramatisch geprägt und in den einzelnen Formaten unterschiedlich intensiv recherchiert. Oftmals bleiben sie klischeehaft. Die Inszenierung orientiert sich nicht an der Realzeit, die die Bearbeitung eines Problems in Anspruch nehmen würde, sondern an den Produktionsabläufen und dem Erzähltempo der Soap. Insofern ist das, was aus der Soap inhaltlich gelernt wird, oftmals durch Stereotypisierung und Halbwissen geprägt.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Daily Soap als Symbolisierung von (emotionaler) Realität

Kinder und Jugendliche verwechseln die Soap nicht mit der Realität, sondern setzen sie in eine - formatspezifisch unterschiedliche - Beziehung zur Realität. So ist der Marienhof aus ihrer Perspektive realitätsbezogen, da er auch die negativen Momente des Lebens und Themen zeigt, die ansonsten eher tabuisiert sind. Verbotene Liebe symbolisiert die Komplexität und das enge Ineinandergreifen von (Liebes-) Beziehungen. GZSZ die Zweiseitigkeit des Lebens, in der es eben gute und auch schlechte Zeiten gibt. Insbesondere in der weiblichen Adoleszenz scheinen die melodramatischen Stoffe der Daily Soap die "emotionale Realität" (Ang 1986) widerzuspiegeln. Die eigenen, emotional als übergroß erlebten Alltagskrisen, finden in den überdramatisierten Stoffen der Serie ihren Widerhall. Es werden aber auch die Differenzen zum eigenen Leben und die Unstimmigkeiten (z.B. Anhäufung von Problemen, finanzielle Sorglosigkeit, idealisierte Klassengemeinschaft) wahrgenommen und formuliert. Gerade bei GZSZ wird die Konstruktion schon von sehr jungen Fans deutlich wahrgenommen. Nur bei Big Brother (1. Staffel) gehen die Kinder und Pre-Teens mit wenigen Ausnahmen davon aus, es zeige die Realität.

An Inszenierungsstrategien der Produzierenden werden zum Beispiel Idealisierungen, Übertreibungen oder auch der Cliffhanger als Mittel der Bindung von ZuschauerInnen durchschaut und benannt. Dies gilt für alle Schularten, auch wenn die Dekonstruktion bei GymnasiastInnen öfters im Vordergrund steht. Doch auch Haupt- und SonderschülerInnen formulieren ihre Erkenntnisse über die Inszenierungsstrategien der Daily Soap. Insofern reflektieren langjährige Fans (individuell unterschiedlich) ihre Soap nicht nur inhaltlich, sondern auch formal.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Figuren als Spiegel, Idealbild und "besondere andere"

Die einzelnen Figuren sind für alle regelmäßig Soap-Sehenden wichtig. Die Figuren sind dabei alle stereotyp und entsprechen einem einfachen "Korrekt"-/"Korrupt"-Schema. Sie sind TrägerInnen bestimmter Eigenschaften, die sie mit und über die Handlung inszenieren. Dies ist bei allen vier Daily Soaps gleich. Als Lieblingsfiguren nennen Kinder und Jugendliche fast ausschließlich "korrekte" Figuren. Die besondere Bedeutung dieser Figuren liegt dabei in ihrer Rolle als "bedeutsame andere". In ihnen erkennen sich die Kinder und Jugendlichen wieder und evaluieren ihre eigenen Einstellungen, ihr Verhalten, aber auch ihre Erscheinung und den eigenen Körper.

Bei GZSZ fokussiert sich dies auf wenige Figuren: Marie und Kai. Bei Marienhof, Verbotene Liebe und Unter uns verteilt sich die "Lieblingsfiguren" auf mehrere ProtagonistInnen. Aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen sind die Figuren bei GZSZ dabei eine Mischung aus Idealen und Merkmalen, die sie von sich selber kennen. Diese Mischung bietet vermutlich eine geeignete Projektionsfläche, die dicht an alltagsästhetische Stile geknüpft ist. Was die Kinder und Jugendlichen gewinnen, ist vor allem Orientierung, wie man spricht, sich anzieht oder sich frisiert, wenn man "cool" und "trendy" sein will. Die Verbindung zu den GZSZ-Lizenzprodukten und der Attraktivität dieser Zusammenhänge für die Werbezeiten wird von Seiten der Produktion und des Senders gerne aufgenommen und gefördert.

Die beliebten Figuren im Marienhof verkörpern dagegen eher das starke Besondere. Dies bietet eine positive Orientierung, die eigenen Besonderheiten als Stärken zu deuten. Insbesondere, wenn die eigene Lebenslage oder das eigene Selbstbild dicht an der Konzeption der Figur liegt, sind die Figuren hier individuell hilfreich. Die Stärke und Perfektheit der Marienhof-Figuren kann aber die eigenen Bemühungen als noch geringer erscheinen lassen. Hier unterstützt die Begeisterung für die Figur das eigene Defiziterleben. Auch bei Schloss Einstein sind die Figuren wichtig, allerdings vor allem deshalb, weil es auch Kinder sind. Die klare Typisierung wird erkannt und aufgenommen. Dies kann Chancen bieten, geht aber zumeist mit einer relativ geschlechterstereotypen Konstruktion einher. Bei Big Brother (1. Staffel) stehen - insbesondere für Jungen - die Figuren Jürgen und Zlatko im Vordergrund. Die Vielfalt von Männerfiguren, die auch in Alltagssituationen wie Kochen oder Zeitvertreib gezeigt werden, bieten durchaus Chancen für eine erweiternde Auseinandersetzung mit Varianten des Mannseins. Die mit der Inszenierung einhergehende Sexualisierung und Abwertung der Frauenfiguren birgt jedoch ebenso die Gefahr, Klischees weiter zu untermauern.

Das Wiedererkennen der "eigenen Eigenheiten" bedeutet zumeist eine Bestärkung des Selbstbildes. Die Soap-Figuren in ihren Stärken, zum Beispiel was die ständigen Krisenbewältigungen angeht, zu nutzen, ist zunächst etwas, was im Alltag unterstützt. Insbesondere für Mädchen bietet dies durchaus Chancen. Gleichzeitig bleiben aber gerade auch die Frauenfiguren stereotyp. Sie sind nicht nur (über-)schlank, gut gekleidet und entsprechen einem engen Schönheitsideal. In ihren Verhaltensweisen und typischen Interaktionseinbindungen entsprechen sie zumeist doch den Geschlechterklischees und sind eher Ausdruck von Stereotypen, als dass sie zu einer Vervielfältigung beitragen. Insofern taugen die Soap-Figuren nur bedingt zur Ausdifferenzierung des eigenen Selbstbildes. Die Entwicklung von Idealvorstellungen, insbesondere im Bezug auf die körperliche Erscheinung, ist für die meisten mit einem Defiziterleben verbunden.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Parasoziale Beziehung zu den Figuren

Durch die jahrelange Vertrautheit mit den Figuren entsteht das Gefühl emotionaler Bindung. Soap-Fans haben das Gefühl, die Figuren gut zu kennen und an ihrem Leben teilzuhaben. Für viele werden die einzelnen Charaktere quasi zu FreundInnen. Diese parasozialen Beziehungen können freundschaftlich oder erotisch intendiert sein. Die parasoziale Liebesbeziehungen fokussieren sich auf nur wenige Figuren. Bei GZSZ war es beispielsweise der zum Erhebungszeitpunkt bereits ausgestiegene Ricky (Oli P.), bei Marienhof die Jungenfiguren Tobi und Nick. Für die Fantasie einer homoerotischen parasozialen Beziehung eignet sich vor allem die lesbische Figur Billie aus dem Marienhof, aber auch ihre Lebenspartnerin Andrea. Noch häufiger als die parasozialen Liebesbeziehungen ist das Gefühl parasozialer Integration in die Freundesclique der Soap. Hierfür eignen sich meist alle Figuren, wobei besonders die "korrekten" Frauenfiguren, die dicht am eigenen Alter der Fans sind, für Freundschaftsfantasien aufgenommen werden.

Die "idealen Freundinnen", die "Traumclique" oder die "attraktiven Knabenfiguren" der Soap können für die Entwicklung einer real gelebten Beziehung aber auch hinderlich sein. Denn den Ansprüchen, die mit den IdealpartnerInnen der parasozialen Beziehung aufgebaut werden, können reale Menschen meist nicht annähernd genügen.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Stars als Aufwertung der eigenen Person

Häufigster Wunsch in Bezug auf die Soap ist die persönliche Begegnung mit den DarstellerInnen und das Mitspielen in der Soap, bei der es u.a. möglich ist, die SchauspielerInnen der Serie persönlich kennen zu lernen. Auch die Fantasien und Träume der Kinder und Jugendlichen drehen sich sehr oft um diese Begegnung. Bei GZSZ sind es (Nacht-)Träume, die Stars am Set zu besuchen, während bei Marienhof-Fans die Stars in der Fantasie auch zu den Fans nach Hause kommen. Bei allen Daily Soaps werden die DarstellerInnen als sympathische, nahbare Menschen inszeniert. Kinder und Jugendliche nehmen dies auf und stellen sich die Stars als immer nette und zugängliche Menschen vor, die meist mit denselben typischen Merkmalen belegt werden wie die Figuren, die diese spielen. Durch die Kenntnis von Details über die Stars oder ein persönliches Treffen erfahren die Soap-Fans sich als besonders und bedeutsam. Dies wertet das eigene Selbstwertgefühl auf, denn sie wurden von dem "besonderen anderen" anerkannt. Soap-Fanclubs ermöglichen für die OrganisatorInnen und Mitglieder eine weitere Annäherung an die Stars. Derzeit werden die OrganisatorInnen jedoch wenig von den Produktionen unterstützt, das persönliche Engagement der Fans aber gern genutzt.

Starverehrung ist sicherlich nicht exklusiv Soap-typisch. Sie bringt für beide (Fan und Star) viel Positives, aber auch Problematisches. Gewinnbringend ist es aber auf jeden Fall für die LizensproduktnehmerInnen, die die Starbegeisterung gerne aufgreifen und versuchen, sie in ihren Produkten gewinnbringend zu fördern.

Subjektiv-thematische Bedeutung: Soap als emotionaler Resonanzboden

Für alle Kinder und Jugendlichen, die regelmäßig Daily Soaps sehen, ist die Rezeption durch ein emotionales Involvement gekennzeichnet. Lachen gehört für viele zur normalen Rezeption, wobei besonders bei GZSZ und Schloss Einstein viel gelacht wird. Aber auch das Weinen über die melodramatischen Geschichten, aus Mitgefühl, Vorwegnahme der herannahenden Katastrophe oder auch vor Rührung, gehört dazu. Der häufigste Grund, während der Soap-Rezeption zu weinen, ist der Tod oder das Ausscheiden einer Figur, was das Ende einer vertrauten parasozialen Beziehung bedeutet. Vor allem wenig vorhersehbare Todesfälle und überdramatische Inszenierungen erleben die Fans als besonders bedrückend und erinnern sie noch nach Jahren lebhaft. Dies gilt speziell für einige Serientode bei GZSZ. Beim Marienhof ist Weinen vor allem im Mitfühlen und Mitleiden mit den Figuren begründet. Für einige Soap-Fans wird die tägliche Rezeption zum Raum, in dem sie sich Gefühle zugestehen, die sie sonst zu verbergen suchen.

Dieser Freiraum kann einen wichtigen Beitrag zur Alltagsbewältigung leisten und mithelfen, schwierige Zeiten zu überbrücken. Der allabendliche Rückzug in die Soap kann zum emotionalen Lückenfüller werden, der aber an den real existierenden Problemen nur bedingt etwas ändert.

Interaktive Bedeutung: Reden, um Freundschaft zu pflegen, Werte zu diskutieren und Gruppen zu definieren

Soaps sind ein Gesprächsthema vor allem unter Gleichaltrigen in der Schule. Das aktuelle Seriengeschehen wird als Kommunikationsanlass genutzt, um Freundschaft anzubahnen und zu pflegen. In den Soap-Gesprächen werden dabei oftmals auch Werte und Normen thematisiert und verhandelt, aber auch Gruppen definiert. Dies findet zum Teil mit deutlicher Abgrenzung gegenüber anderen Soap-Fans (einer anderen Serie) bzw. gegenüber Nicht-Soap-Fans statt. Verbotene Liebe, Big Brother und Marienhof sind dabei die Formate, über die am meisten gesprochen wurde. Ein Teil des Erfolges von Big Brother lag in dieser hohen interaktiven Bedeutung des Formats. Alle redeten drüber, und mehrere Pre-Teens sahen die Sendung vor allem, um am nächsten Tag mitreden zu können. Gerade für Jungen bot das Gespräch über Big Brother eine Chance, sich über Möglichkeiten des Mannseins unterhalten zu können. Bei Verbotene Liebe und Marienhof sind es vor allem Gespräche unter älteren Jugendlichen, die ebenfalls Fans sind. Jüngere Soap-Fans geben zwar vergleichsweise weniger häufig an, sich regelmäßig über die Serie zu unterhalten; dennoch wird Schloss Einstein in der Grundschule nahezu uneingeschränkt als positiv bewertet und ist auch durchaus Anlass zum Beispiel für Rollenspiele.

In der Interaktion schafft die Soap-Begeisterung Möglichkeiten sich in der Gemeinsamkeit mit anderen zu erleben oder sich Abzugrenzen. Die Soap wird für einige Teil ihrer Selbstpräsentation. Durch die jahrelange Soap-Begeisterung werden Kinder und Jugendlichen zu ExpertInnen. Dies hilft, Selbstvertrauen aufzubauen und sich gegenüber anderen zu beweisen. Wird dies aber über viele Jahre zu einem wichtigen Teil des Selbstbildes und der Selbstpräsentation, wird es schwieriger, die Inhalte grundsätzlicher in Frage zu stellen oder sich ganz von der Soap-Begeisterung zu distanzieren.

Situative Bedeutung: Strukturierung des Tages, Gemeinsamkeit in der Familie oder Raum für sich allein

Die Rezeptionssituation wird - je nach Format und Sendezeit unterschiedlich - zur Strukturierung des Tages genutzt. Dies ist auf der einen Seite hilfreich, setzt auf der anderen Seite aber auch unter Druck. Marienhof und Verbotene Liebe dienen zur Einleitung des Feierabends, Unter uns als Pause zwischen Verpflichtungen und GZSZ zur Gestaltung der Vor-Prime-Time. Die Soap-Rezeption ist zum Teil in die Gemeinsamkeit der Familie eingebaut. Während oder nach der Soap wird in einigen Familien zu Abend gegessen, oder sie dient - insbesondere GZSZ - als "Gute-Nacht-Geschichte" kurz vor dem Schlafengehen. Schloss Einstein ist - in der täglichen Ausstrahlung (zum Erhebungszeitraum ab 14.05 Uhr) - bei einigen Grundschulkindern die Zeit, zu der sie möglichst schon mit den Hausaufgaben fertig sein wollen. Die Rezeption von Big Brother ist für die Jüngeren in die Gemeinsamkeit mit der Familie eingebaut und für die Älteren oftmals eine Verlängerung von GZSZ.

Die Rezeptionssituation wird oftmals gezielt mit Essen und bestimmten Utensilien gestaltet. Kommunikation wird entweder - durch gezielt hergestellte Gemeinsamkeit - ermöglicht oder, wie bei Jugendlichen, auch deutlich vermieden. Insbesondere in der weiblichen Adoleszenz wird die tägliche Soap-Rezeption zum "Raum für sich allein", den die Mädchen für sich (zum Teil vehement) einfordern.

Die Soap-Begeisterung kann helfen, den Tag zu strukturieren, kann aber auch zusätzlich Druck und Verknappung der Zeitressourcen mit sich bringen. Die hohe Ritualisierung, mit der zum Teil über Jahre die Soap gesehen wird, bedeutet dabei immer auch, dass anderes Erleben in dieser Zeit verhindert wird. Die Soap-Rezeption kann Gemeinsamkeit zwischen Familienmitgliedern herstellen, aber zumeist nur zu der Mutter oder der Schwester. Die ohnehin oft sehr knappe Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, wird hier zusätzlich reduziert.

Alterstypische Entwicklung der Soap-Begeisterung

Die Soap-Begeisterung passt sich in den sozialen Kontext und die Strategien der Lebensbewältigung ein. Hierbei zeigen sich altersspezifische Tendenzen. Für jüngere Grundschulkinder (6 bis 9 Jahre) ist die regelmäßige Rezeption von Daily Soaps bzw. Big Brother in die Gemeinsamkeit mit der Familie eingebunden. Die Serie wird zusammen mit den Eltern und eventuell Geschwistern - quasi als "Gute-Nacht-Geschichte" - gesehen. Sie wird zum Anlass, um sich über Zusammenhänge einer "erwachseneren" Welt und ihrer Ideale auszutauschen. Die Kinder schließen sich dabei tendenziell in der Wahl des Mediums und den entwickelten Vorstellungen an die Interessen und Ansichten der Eltern an. Zunehmend werden die Medienerlebnisse auch mit den Freundinnen und Freunden besprochen, Hauptbezugspunkt in dieser Altersgruppe bleibt jedoch die Familie. Anders die Bedeutung von Schloss Einstein: Die Eltern befürworten zwar die Serie, sehen sie aber nur selten mit. Schloss Einstein wird zu einem eigenen Raum, in dem Kinder und Pre-Teens sich den aufregenden Schulalltag anderer Kinder und Jugendlicher ansehen können.

Bei den Pre-Teens (10 bis 13 Jahre) wird die Daily Soap (und Big Brother) vermehrt zum Informationsmedium, einer Art "Fenster zur Welt". Dies geht zwar nicht mehr unbedingt mit der Gemeinsamkeit mit den Eltern einher, ist aber mit ihrer tendenziellen Befürwortung verbunden. Die Mädchen und Jungen sehen sich mit der Soap Probleme, aktuelle Themen und Möglichkeiten des Frau- und Mannseins an. Für Jungen, die auf der Suche nach stabilen Markierungs- und Orientierungspunkten für das "modernisierte Männliche" sind, bieten die Soaps oder Big Brother verschiedene Ansatzpunkte. Mädchen suchen nach interessanten, handlungsbestimmenden Frauenfiguren, die sie im sonstigen Programm kaum finden.

Bei den älteren Pre-Teens und jüngeren Jugendlichen (ca. 12 bis 15 Jahre) kommen der Daily Soap zunehmend auch alltagsästhetische Dimensionen zu (im Sinne u.a. Schultz 1993). Junge Menschen finden sich in ihrer jeweiligen Lebensphilosophie wieder, grenzen sich von den anderen ab und nutzen die Soap-Begeisterung bzw. bestimmte Kleidungsstile, Musikstile etc., um sich zeichenhaft in ihrem Selbstbild darzustellen. GZSZ ist dabei mit einer Atmosphäre von Jugendlichkeit und einem "trendy" Image verbunden, das sich für Mädchen insbesondere in der Figur der Marie (GZSZ) personifiziert. Marienhof ist für Jugendliche hingegen tendenziell eher mit "political correctness" und einer Problemorientierung des Lebens verbunden. Big Brother ist eher mit einem "Stil des Authentischen" verbunden.

Vor allem bei den ca. 14- bis 15-jährigen Mädchen zeigt sich ein Schwerpunkt der Soap-Bedeutung im besonderen emotionalen Engagement und in der Fantasiebildung. In dieser Altersstufe, in der sich auch die meisten Selbstaussagen "soap-abhängig" zu sein, finden, wird die Daily Soap zum vehement eingeforderten Rückzugsort. Vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen zur weiblichen Adoleszenz wird dies gut nachvollziehbar, denn dies ist vermutlich der "Höhepunkt" vom "Verlust der Stimme" (Brown/Gillian 1994), in dem Mädchen ihr eigenes Wissens und die eigenen Empfindungen aus der Öffentlichkeit heraus in den "Untergrund" nehmen und nur noch der besten Freundin oder dem Tagebuch anvertraut. Die Daily Soap wird zum Raum, den Mädchen sich gestalten, um mit ihren eigenen Gefühlen und ihrem Wissen um Beziehung in Kontakt zu bleiben. Ihre eigenen, als übergroß erlebten Alltagskrisen finden sie dabei symbolisch in den melodramatischen Stoffen wieder.

Bei den älteren Jugendlichen (16 bis 19 Jahre) zeigt sich eine Vielzahl von Aneignungsmustern, die Zahl der "leichteren" und mit distanzierteren Einstellung zum Medium geprägten Rezeptionshaltungen nimmt dabei deutlich zu. Die Familie wird eher wieder in die Soap-Begeisterung einbezogen, die Fantasien und emotionalen Beteiligungen werden jedoch erinnert und fortgeführt.

Soap-Begeisterung als Begleiterin durch die weibliche Adoleszenz

Daily Soaps werden insgesamt stärker von Frauen genutzt. Bei den 10- bis 19-jährigen Mädchen und jungen Frauen sind jedoch die höchsten Marktanteile zu verzeichnen. Im Gegensatz zum sonstigen Fernsehprogramm finden sich in den Soaps relativ viele handlungsmitbestimmende Frauenfiguren. Beziehung steht im Mittelpunkt der Handlung und Geschichten werden In-Beziehung erzählt. Dies trifft eine Perspektive, die Mädchen wichtig ist, und die ihnen auch nahegelegt wird. Dabei würden sie die Soap nicht so massenhaft sehen, wenn sie bei der Rezeption nicht auch viel Vergnügen für sich gewinnen würden. Das Spiel mit der Realität, das Wissen um die Dramaturgie spielen neben dem Vergnügen an verschiedenen Frauenfiguren und ihren Beziehungen eine wichtige Rolle. Die Soap bietet so die Möglichkeit, vom Alltag gedanklich zu transzendieren (vgl. auch Klaus 1998). Vor allem in den besonders schwierigen Zeiten weiblicher Adoleszenz ist die Daily Soap Begleiterin, die Halt gibt. Gleichzeitig unterstützen die Formate Geschlechterklischees. Insbesondere die durchweg überschlanken Frauenfiguren der Soap rücken das Normalgewicht in für die meisten unerreichbare Dimensionen und fördern so die Wahrnehmung des eigenen Körpers als defizitär.

Soap als Information über das moderne Männliche

Auch für Jungen, die regelmäßig Daily Soaps sehen, haben diese Gewicht, doch sie dominieren den Alltag nicht. Die Soap bietet ihnen Bildmaterial für heutiges Junge- und Mannsein, für männliche Lebenslagen und Lebensgestaltung. Gleichzeitig bietet die Soap Einblicke in die "weibliche Sphäre". Die meisten der Jungen sind durch ihre Mutter oder ihre Schwester zur Daily Soap gekommen und genießen die Gemeinsamkeit mit den Frauen. Die Inhalte bieten dabei Einblick in Perspektiven und geben Hinweise für heterosexuelle Beziehungen. Insbesondere Jungen, die ihre Stärke in der Beziehung und in der Verantwortung für andere erleben, nutzen die Soap zur Bestätigung der eigenen moralischen Reife. So sind die Soap-Inhalte auch Thema in der Familie und bieten attraktive Gesprächsanlässe mit Mädchen. Der männliche Körper wird dabei als Thema weitestgehend außen vor gelassen. Die makellose Schönheit erscheint als Normalfall, was (auch) Jungen ein positives Verhältnis zu ihrer eigene Körperlichkeit nicht erleichtert.

Pädagogische Einschätzung im Hinblick auf Grundschulkinder

Durch das jahrelange allabendliche Sehen geht die Soap-Begeisterung tief in die Alltagsgestaltung und vermutlich auch die Deutungsmuster ein. Die Unveränderbarkeit der Soap-Figuren schafft zwar einerseits Verlässlichkeit, fördert aber vermutlich auch die Bildung der Vorannahme, Menschen könnten sich nicht grundsätzlich verändern. Die Problemkonstellationen und Beziehungskonzepte in der Soap sind zumeist nicht im kindlichen Alltag fundiert. Verschiedenste lebensbedrohliche Erkrankungen, häufiger Tod, Themen um Sexualität nennen viele Kinder im Interview nicht, sondern betonen eher die harmonischen Aspekte. Andere deuten die Vorkommnisse und Zusammenhänge für sich um. Bei einigen Grundschulkindern zeigt sich aber auch Überforderung, zumal bei (sexueller) Gewalt gegen ihre Identifikationsfiguren. Im Rahmen dieser Studie kann dieser Punkt nur aufgezeigt werden und eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Einschätzung dieser Phänomene ist anzuraten.

Für Mädchen und auch Jungen, die sich zum Teil schon ein Drittel ihres Lebens wochentags die Daily Soap ansehen, werden die Formate zu einer bedeutsamen Sozialisationsinstanz. Dies fordert nicht nur von Produzierenden ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein gegenüber dieser Altersgruppe, sondern auch eine intensive Reflexion über medien- und geschlechterpädagogische Konsequenzen.

 

Bisherige Veröffentlichungen:

Götz, Maya (Hg.): "Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen". München: KoPäd 2002, 396 Seiten

Götz, Maya: Warum Kinder und Jugendliche sich für Soaps begeistern. In: TV-Diskurs-/2002/19, S. 24-19

Götz, Maya: Gute Zeiten, schlechte Zeiten im Marienhof durch die Verbotene Liebe! Mädchen und Soaps. Beyer, Kathrin: Genderstudies. Im Druck

Götz Maya: Identität mit Seifenblasen? Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen. In: Medienidentitäten - Identität im Kontext von Globalisierung und Medienkultur. Im Druck

Götz, Maya: Wer sieht Soaps, warum und mit welchem Erfolg? Ein kurzer Streifzug durch die internationale Forschung. In: Cippitelli, Claudia / Schwanebeck, Axel(Hg.): Pickel, Küsse und Kulissen. Soap Operas im TV. München: KoPäd 2001, S. 183-206

Götz, Maya: Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von 10- bis 15-Jährigen. Seifenblasen zwischen "leicht verdaulicher Unterhaltung" und "ein Raum für sich". In: TELEVIZION, 13/2000/2, S. 52-64.